Als Howard Hawks Raymond Chandlers Roman The
Big Sleep verfilmte, so erzählt eine alte Anekdote, sorgte
die verwickelte Handlung der Romanvorlage für einige Unklarheiten,
so daß man sich, einigermaßen verzweifelt, an den
Autor um Hilfe wandte. Dieser gab auch bereitwillig Auskunft,
die jedoch, wie sich wenig später herausstellte, nicht unbedingt
von einer guten Kenntnis des eigenen Buches zeugte. Der Film wurde
trotzdem gedreht, und auch die Tatsache, daß wohl kaum jemand
in der Lage sein dürfte, seinen Plot zu rekonstruieren, nimmt
ihm etwas von seinem Klassikerstatus.
Mir ist Chandlers "Versagen" sehr sympathisch, da auch
ich kaum in der Lage bin, nach der Lektüre eines Kriminalromans
zu erklären, was genau den Ermittler auf die Spur des Täters
brachte, geschweige denn, wie es ihm letztendlich gelang, diesen
zu überführen. Gewöhnlich fallen mir deshalb Ungereimtheiten
in der detektivischen Arbeit kaum auf, und ein entsprechender
Schnitzer muß schon ziemlich plump daherkommen, daß
ich ihn bemerke. So hat es mich um so mehr erstaunt, daß
ausgerechnet ein großartiger Routinier wie Georges
Simenon seinem Detektiv mit einem anonymen Anruf auf die
Sprünge meint helfen zu müssen. "Wollen Sie einen
guten Tip, Monsieur Maigret?", fragt da nämlich jemand
am Telefon, um dann flugs mit dem Namen des Täters aufzuwarten.
Wer der wertvolle Informant war, der den Kommissar aus dem Dunklen
ans Licht führt, erfahren die Leser von Maigret und der
einsame Mann leider nicht, und so schließt man das ansonsten
nicht üble Bändchen mit dem guten Gefühl, daß
auch ein großer Kriminalschriftsteller wie Simenon manchmal
ohne einen deus ex machina nicht auskommt. Und ich freue
mich, darauf hinzuweisen, daß die Neuausgabe der Maigret-Romane
im Diogenes-Verlag zügig voranschreitet. Vom Klassiker zum
Newcomer. Wie universell das US-amerikanische Konzept des hartgesottenen
Privatermittlers mittlerweile geworden ist, zeigt der erste Roman
des türkischen Schriftstellers Celil Oker,
Schnee am Bosporus. Wie üblich reißt ein Anruf
den Detektiv aus seiner Muße, der Auftrag klingt einigermaßen
mysteriös, aber doch verlockend, und am Ende ist dann alles
anders gekommen, als es zu Beginn ausgesehen hat. Nur daß
der Ex-Pilot Remzi Ünal seine Dienste eben in Istanbul anbietet.
Und weil er ebenso abgebrüht und selbstironisch ist wie seine
amerikanischen Kollegen, liest man diesen Krimi mit großem
Vergnügen.
Weitaus weniger souverän als Ünal geht der deutsche
Privatdetektiv Wolfgang Schröder seiner Arbeit nach. Dafür
ermittelt er auch in einer Gegend, die manchem noch exotischer
erscheinen mag als die Stadt am Bosporus, nämlich im tiefsten
Ruhrgebiet. Schröder trinkt zu viel, hat ein ziemlich siffiges
Büro und jede Menge Schulden, aber wenig lukrative Aufträge.
Zum Glück schneit ihm die arbeitslose Chris Ullmann ins Haus,
die nicht nur in der Buchhaltung für Ordnung sorgt, sondern
sich auch als detektivisches Naturtalent entpuppt. Als "Steeler
Straße"-Krimis sind die Fälle des ungleichen Duos
aus Essen bekannt geworden, die man jetzt in einem preiswerten
voluminösen Sammelband erwerben kann. Autor Conny
Lens erzählt lakonisch und mit einem scharfen Blick
fürs garstige Detail, so daß sich zum einverständigen
Grinsen des Lesers auch immer ein leises Grausen gesellt.
Nach nur fünf Fällen hat Lens die Serie, eigentlich
untypisch für den Regionalkrimi, im Jahre 1995 beendet. Üblich
scheint mir eher, erfolgreichen Detektiven mindestens einmal im
Jahr einen öffentlichen Auftritt zu gönnen. Georg Wilsberg,
Ex-Anwalt, Ex-Briefmarkenhändler und immer noch Privatdetektiv
im properen Münster, hat es in nur zehn Jahren sogar zu bislang
zwölf Abenteuern gebracht. An Fleiß kann es sein Schöpfer
Jürgen Kehrer mittlerweile mit
den anerkannten Vielschreibern des Genres aufnehmen, wenn auch
nicht unbedingt mit einem Georges Simenon, der zwischen 1929 und
1972, neben unzähligen anderen Romanen, allein 84 Maigrets
verfaßte. Kehrer läßt seinen Helden gerne ein
wenig leiden, deshalb gesellt sich zur chronischen Neurodermitis,
die Wilsberg in früheren Bänden immer wieder ins Ölbad
zwang, nun eine Herzattacke. Doch damit das Elend nicht zu groß
wird, führt den Detektiv sein zwölfter Fall aus Münster
hinaus auf ein idyllisch gelegenes Schloß, wo sich unbekannte
Vandalen nächtlich zum munteren Zerstörungswerk einfinden.
Ein leichtes Unterfangen, möchte man denken, das sich wunderbar
mit einem kleinen Erholungsurlaub im luxuriösen Schloßhotel
verbinden lassen müßte. Doch wie nicht anders zu erwarten,
erweisen sich solche Hoffnungen als voreilig, wenn Wilsberg sich
plötzlich mit einer Leiche im gräflichen Keller konfrontiert
wird. Wie gewohnt liefert Jürgen Kehrer leichte Krimi-Kost
für den schnellen Verzehr, ohne daß man üble Nachwirkungen
befürchten müßte.
Daß die Beschäftigung mit Literatur nicht immer harmlos
endet, muß allerdings Hauptkommissar Onno Tjaden befürchten.
Eigentlich sollte er ja nur herausfinden, wer sich nach Kräften
bemüht, auf der Nordseeinsel Langeoog Chaos zu stiften. Schließlich
mögen es die Feriengäste gar nicht, wenn aus einer Dusche
plötzlich Blut fließt oder wenn sie Angst haben müssen,
beim traditionellen Dünensingen in die Luft gesprengt zu
werden. Gar keine harmlosen Streiche also, denen sich Tjaden widmen
muß, doch sein kriminalistisches Gespür wird erst so
richtig gefordert, als es Bodo Bogatzki, den scharfzüngigen
Kritiker vom "Literarischen Terzett" bei einer Lesung
im "Haus der Insel" dahinrafft. Blausäurevergiftung
lautet die Todesursache, und der Mordverdächtigen sind nicht
wenige. Schließlich liebte Bogatzki nicht nur die Literatur,
sondern auch die Frauen, und die menschlichen Leidenschaften haben
schon immer für gute Mordmotive gesorgt. Onno Tjaden hat
also allerhand zu tun, bis die Welt auf Langeoog wieder in Ordnung
ist und er beruhigt die Fähre zum Festland nehmen kann. Antje
Friedrichs heißt die Autorin, die gewöhnlich
unter einem anderen Namen publiziert und hier ihren ersten Kriminalroman
vorgelegt hat. Letzte Lesung Langeoog ist ein flott und
mit viel Ironie geschriebener Krimi, der auch Spaß macht,
wenn man nicht zu den regelmäßigen Besuchern der Nordseeinsel
gehört.
Zum Schluß zu einer Autorin, die den Lesern dieser Kolumne
gut bekannt sein dürfte. Anne Chaplet
hat sich bereits mit ihrem ersten Roman Caruso singt nicht
mehr einen Spitzenplatz in der deutschen Kriminalliteratur
erschrieben. Auch ihr zweites Buch Wasser zu Wein, ein
nicht ohne Augenzwinkern verfaßter, fast klassischer Detektivroman,
braucht den Vergleich mit angelsächsischen Vorbildern nicht
zu scheuen. Mit Nichts als die Wahrheit bewegt sich die
Autorin wieder in die Gefilde des Politthrillers, und das Thema
ist wie schon bei Caruso singt nicht mehr die deutsche
Vergangenheit. Damals mußte sich Anne Burau, die sich auf
einen Biobauernhof in die Rhön zurückgezogen hatte,
mit der Stasi-Vergangenheit ihres ermordeten Ehemannes Leo auseinandersetzen.
Dieses Mal verschlägt es sie unerwartet nach Berlin, nie
hätte sie gedacht, daß ihr politisches Engagement einmal
zu einem Bundestagsmandat führen würde. Da jedoch der
Abgeordnete Bunge unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen
ist, muß sie nachrücken, und gerät mitten hinein
in ein Schlangennest aus Lügen, Verrat und Manipulation.
Anne Chaplet hat einen ambitionierten Roman geschrieben, der,
anders als Wasser zu Wein, offenbar mehr sein will als
"bloß" ein spannender Krimi, und ich bin mir nicht
ganz sicher, ob dies ein erstrebenswertes Ziel für diese
Autorin ist, denn mir scheint Nichts als die Wahrheit thematisch
ein wenig überfrachtet. Lesenswert ist das Buch aber allemal,
da Anne Chaplet nicht nur versteht, einen spannenden Plot zu stricken,
sondern auch ihre Figuren wunderbar plastisch darzustellen vermag.
Für die deutsche Kriminalliteratur ist es ein gutes Zeichen,
daß sich eine solch talentierte Erzählerin dem Genre
verschrieben hat.
|