Am Erker 83

Ror Wolf: Die unterschiedlichen Folgen der Phantasie

Jan Wilm: Ror. Wolf. Lesen.

 
Fritz Müller-Zech 83
Die Kolumne
 

Man schwärmt gerne von vergangenen Zeiten, bei den Treffen des Modellflugclubs. Vor allem die älteren Mitglieder geraten dabei ins Fabulieren. Autos beispielsweise seien nicht nur ästhetisch ansprechender, sondern auch technisch robuster gewesen als die störungsanfälligen Modelle unserer Tage. Glauben mochte ich das noch nie, musste allerdings einen Beweis für meine Zweifel bislang schuldig bleiben. Dass ich ausgerechnet in den Tagebüchern eines Schriftstellers wichtige Hinweise erhalten würde, hätte ich nicht erwartet.
Nach siebenundzwanzig Fahrstunden legt Ror Wolf am 19. September 1969 seine Fahrprüfung ab. Er ist siebenunddreißig Jahre alt. Obwohl nun im Besitz eines Führerscheins, fährt er noch am selben Tag mit der Bahn von Frankfurt nach Basel. Von dort geht es, offenbar mit dem Auto, weiter nach Spanien. Ob es sich bei diesem Fahrzeug schon um den grünen Saab handelt, mit dem Wolf am 7. Oktober nach Frankfurt fährt, wo er am folgenden Tag die Buchmesse besucht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Verbürgt ist aber, dass es wenige Tage später an einer Frankfurter Ampel zu einem Auffahrunfall mit einem LKW der US-Armee kommt. Den Saab-Fahrer trifft keine Schuld, doch das Auto muss repariert werden. Als Ersatzwagen steht nur ein NSU Prinz zur Verfügung, den Wolf schrecklich findet. Glücklicherweise ist der Saab bereits vier Tage später wieder fahrbereit, so dass die Fahrt nach Basel am 24. Oktober problemlos vonstattengeht.
Leider ist weder überliefert, ob es dieses Fahrzeug war, das zweieinhalb Jahre später, am 24. April 1972, einen Getriebeschaden erleidet, noch ob die Frankreichreise im Mai desselben Jahres mit einem Saab angetreten wurde. Zu vermuten ist es, denn Ror Wolf blieb der Marke treu. Im Oktober 1975 wird das grüne Modell, das einen Monat zuvor bei einer Fahrt von Basel nach Frankfurt "dampfend" stehengeblieben war, gegen ein silbermetallic lackiertes Neufahrzeug zum Preis von 13.129,10 DM eingetauscht. Allerdings springt der alte Wagen nicht an, so dass Wolfs Gattin den Überbringer des Neufahrzeugs mit ihrem Renault zurückfahren muss.
Das neue Fahrzeug scheint sich zu bewähren. Dass der Schriftsteller am 5. August 1978 beim Zurücksetzen die hintere Stoßstange lädiert, ist nicht die Schuld des Saabs, dem im Dezember desselben Jahres bescheinigt wird, er fahre "problemlos". Der Kilometerzähler zeigt 41.000. Doch das positive Urteil ist verfrüht. Im Januar 1979 reißt der Gaszug, Wolf muss mit dem Taxi weiterfahren. Unverdrossen bestellt er am nächsten Tag einen Saab-Turbo, der Preis ist ihm "wurscht". Bis dieser eintrifft, muss der alte Wagen weiterbenutzt werden. Noch keine drei Jahre ist er alt, doch er "humpelt", gibt "schabende" Geräusche von sich und bleibt am 8. April des Jahres in Idstein liegen. Das neue Modell, ein 99 Turbo, wird vier Tage später in Betrieb genommen. Für den alten gibt es noch 6.000 Mark.
Das Fahrglück währt nur wenige Jahre. Am 23. Juni 1982 beendet ein Unfall, ausgerechnet auf dem Weg zu einer Untersuchung im Krankenhaus, die Beziehung des Schriftstellers zu dem schwedischen Autohersteller. Schuld ist er auch diesmal nicht, aber der Wagen ist dahin. 3.000 Mark bringt das Wrack, die einen Monat später in einen Fiat Ritmo investiert werden. "Nett" lautet das Wolf'sche Urteil. Doch der Abschiedsschmerz will nicht vergehen. Noch im Dezember artikuliert sich die Trauer um das zerstörte Automobil, wenn Ror Wolf die Katastrophen der vergangenen zwölf Monate resümiert: "Ein furchtbar verwüstetes verkrüppeltes Jahr: Von Athen bis Athenäum, von Arm bis Bein, von Kopf bis Fuß, von Saab bis Zornheim." (Dort bewohnten die Wolfs ein offenbar baufälliges Haus.)
Der Fiat scheint einige Jahre gehalten zu haben. Wahrscheinlich handelt es sich auch um das Auto, mit dem Ror Wolf zwei Redakteure dieser Zeitschrift nach erfolgtem Interview zu Kaffee und Kuchen in ein Hotelrestaurant transportierte. Aber im August 1988 war nach 49.525 Kilometern Schluss. Ror Wolf kauft wieder ein Schwedenmobil, diesmal allerdings einen Volvo. Der fährt sich "wie Butter". Bis zum 29. April 1993, dann fällt der Auspuff ab. Doch nach einem kurzen Werkstattaufenthalt scheint alles wieder in Ordnung zu sein. Zumindest bis 1996. Hier enden die Tagebücher, auf deren letzten Seiten allerdings mehr vom Bahnfahren die Rede ist.

 

Ror Wolf: Die unterschiedlichen Folgen der Phantasie. Tagebuch 1966-1996. 344 Seiten. Schöffling. Frankfurt am Main 2022. € 32,00.

Jan Wilm: Ror. Wolf. Lesen. 188 Seiten. Schöffling. Frankfurt am Main 2022. € 23,00.