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Axel Marquardt
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Tobias Hülswitt

 
Fritz Müller-Zech 47
Die Kolumne
 

"Ihr Gesicht wurde entrückt." Seit Wochen verfolgt mich dieser Satz, den ich auf einer der 700 Seiten eines aus dem Englischen übersetzten Spannungsromans über weltweite Verschwörungen und Geheimgesellschaften lesen durfte. Auch langes Nachdenken hat mich der Bedeutung dieser Worte nicht näher gebracht. Vielleicht sollte ich einfach in der Originalfassung nachsehen, was der Autor Dan Brown an dieser Stelle in seiner Muttersprache formuliert hat? Doch so dringend ist die Lösung dieses Rätsels nun auch wieder nicht, denn gleichzeitig treibt mich die Frage um, was denn ein "verschwiegenes Buch" sei, ja, was mit dem in einer Rezension auftauchenden Kompliment, bei Undine Gruenters posthum erschienenen Roman Der verschlossene Garten handle sich um eines der "verschwiegensten Bücher", gemeint sein könnte. Natürlich weiß ich, wie jeder andere Leser auch, dass es geschwätzige Bücher gibt. Der zu Beginn zitierte Schmöker dürfte so eines sein. Das Gegenteil wäre also das verschwiegene Buch, eines, das nicht viel von sich preisgibt. Aber was sollen wir davon halten, wenn einem anscheinend wenig mitteilsamen Roman auch noch bescheinigt wird, er gehöre zu den "leisesten", "zartesten", "klarsten", "schönsten" und "traurigsten" seiner Art? Gibt uns die Verschwiegenheit nicht schon genug Rätsel auf? Und reicht nicht ein Superlativ pro Rezension?
Manchmal nicht. Ich habe nämlich erst vor kurzem ein Buch kennen gelernt, mit dem es kaum ein anderes an Verschwiegenheit und gleichzeitiger Geschwätzigkeit aufnehmen dürfte, eines, das an Wörtern nicht spart, sich aber dennoch der Kommunikation verweigert. Wie nicht selten in der deutschsprachigen Literatur stammt das betreffende Exemplar aus Österreich. Sein Autor ist noch jung, gerade mal Mitte 30, und es handelt sich um sein Debüt. Ich vermute, dass hinter dem Text eine ganz ausgefuchste Idee steckt, doch was für eine das sein mag, ist mir bislang noch nicht aufgegangen. Der Roman selbst bietet mir auch wenig Anreiz, gegen diese Ratlosigkeit anzugehen, wartet er doch mit Sätzen wie den folgenden auf: "Ich wurde pünktlich geweckt und saß ebenso pünktlich an meinem Frühstückstisch. Eine blonde, kleingewachsene Frau mit einer exorbitant hässlichen Nase servierte mir Kaffee, der nach (...) schmeckte." Den Titel des Buches möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, biete aber mein Rezensionsexemplar demjenigen an, der errät, wonach der Kaffee wohl geschmeckt haben mag. Es ist nicht schwer, man darf nur nicht zu kreativ sein. Eine kurze Nachricht an die Redaktion dieser Zeitschrift genügt; bei mehreren richtigen Einsendungen entscheidet das Los.
Aber reden wir lieber von einem empfehlenswerten Buch. Eine leichte Sommerlektüre verspricht schon der Einband des neuesten Prosawerkes von Axel Marquardt. Michael Sowa hat dafür ein Bild gemalt, das zwei Radler in flacher Landschaft zeigt. Einige Bäume zieren den Straßenrand, und am Himmel dräuen Wolken. Doch es macht nicht den Eindruck, als würde ein kleiner Schauer den beiden Herren etwas anhaben können. Das Buch trägt den Nachnamen seines Helden als Titel: Rosebrock. 43 Jahre ist er gerade geworden, 43 Jahre, in denen er seiner festen Überzeugung nach nichts Wesentliches erlebt hat. Das geht vielen Mittvierzigern so, doch bei Hubert Rosebrock beschleicht den Leser schnell die Ahnung, er könnte recht haben. Selbst den beruflichen Aufstieg zum Direktor einer Privatbank hat er nicht seinem finanziellen Genius, sondern der Ehe mit der Tochter seines Vorgängers zu verdanken. Rosebrock also, nach eigener Einschätzung eine Pfeife, gelingt es, innerhalb weniger Wochen sein Leben vollkommen umzukrempeln. Es beginnt mit der Einladung zum Klassentreffen und endet mit einem Flugticket nach Übersee. Was dazwischen passiert, ist komisch, aber auch herzig und zudem überaus beschwingt erzählt: gute Unterhaltung für zwei beschauliche Stunden auf dem Balkon und viel besser als Fernsehen. Dass Marquardt sich ab und an beim Gebrauch des Konjunktivs verhaspelt, ist leider heutzutage eine lässliche Sünde. Eher rätselhaft fand ich den Umstand, dass ein 43-Jähriger erst zwanzig Jahre zuvor sein Abitur gemacht haben soll. Das ist selbst für eine Pfeife wie Rosebrock ein bisschen heftig und geht wahrscheinlich zu Lasten von Autor und Lektorat.
Während Marquardts Roman, obwohl bis in die Postleitzahlregion hinein genaue Ortskenntnis vorspiegelnd, in jeder Hinsicht hübsch erfunden wirkt, greift in Erzählwerken jüngerer Autoren ein kruder Alltagsrealismus um sich, dass man so manchen Text schon nach wenigen Seiten wieder in die Ecke schleudern und zur Fernbedienung greifen möchte, begegneten einem auf dem Bildschirm nicht selten die gleichen Typen wie in den Büchern. Ich mag einfach keine Romane von Autoren Ende zwanzig mehr lesen, in denen Helden Ende zwanzig versuchen, ihr Leben zwischen studentischer Boheme und drohender Karriere in den Griff zu bekommen. Zumal es nicht die unbegabtesten Schreiber sind, die sich dem Genre des Generationenwiedererkennungsromans verschrieben haben, und wir uns diese Art von Verschwendung am Literaturstandort Deutschland nicht leisten können.
Dass es ernst zu nehmende Gründe braucht, um die Stadt Berlin zum Schauplatz eines Romans zu machen, hatte ich an dieser Stelle bereits früher einmal ausgeführt. Dieses Verdikt gilt mittlerweile auch für jede andere deutsche Großstadt, in der junge Menschen Pizza ausliefern, kiffen, als Komiker auftreten, Skulpturen zusammenschweißen, sogenannten Sex haben, Partys feiern, telefonieren und so weiter. Jene Leser unter dreißig, denen meine Meinung vernünftigerweise egal ist und die ungern darauf verzichten würden, etwas über ihre Generation zu erfahren, das sie eigentlich schon lange wussten, finden nachstehend entsprechende Literaturhinweise.

 

Axel Marquardt: Rosebrock. Roman. 190 Seiten. Kunstmann. München 2004. € 17,90.

Michael Ebmeyer: Plüsch. Roman. 320 Seiten. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2004. € 8,90.

Tobias Hülswitt: Ich kann dir eine Wunde schminken. Roman. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2004. € 8,90.