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Wallstein
Carl Zuckmayer
Albrecht Joseph
 
Essays
Zur Archäologie des literarischen Medienarbeiters
Der Briefwechsel Carl Zuckmayers mit Albrecht Joseph
Andreas Heckmann
 

In Carl Zuckmayers Briefwechsel mit Annemarie Seidel scheint die Intimität ihrer frühen Boheme-Liebesbeziehung über dreißig Jahre hin stets wieder berührend auf. Im Briefwechsel des zum Großschriftsteller der Nachkriegszeit arrivierten Autors mit dem Basler Historiker und Diplomaten Carl Jacob Burckhardt zeitigt der gegenseitige Respekt der so gar nicht wesensverwandten Männer oft überaus amüsante, mitunter fast unfreiwillig komische Briefe, in denen Zuckmayer einen etwas steifen Großbürgerton, Burckhardt einen leicht forcierten Künstlerton anschlägt (s. Am Erker 40, S. 81ff.). Carl Zuckmayers umfangreicher Briefwechsel mit seinem langjährigen Freund und informellen Mitarbeiter Albrecht Joseph (1901-91) - einem Dramaturgen, der in den zwanziger Jahren auch Regie geführt hat, dessen Karriere aber stagnierte, während Zuckmayer ab 1925 zum kommerziell erfolgreichsten Dramatiker der Weimarer Republik wurde - bietet dagegen Einblicke in die Werkstatt eines Alphatiers der Unterhaltungsbranche, das den Kulturbetrieb mit Theaterstücken, Prosa und in den dreißiger Jahren zunehmend auch mit Drehbüchern versorgte.
Nur das erste Fünftel des Textkorpus zeugt von der lärmenden Unbefangenheit, mit der der junge Dramaturg, Regisseur und Theaterautor Zuckmayer sich als Originalgenie und Kraftmeier in Szene zu setzen liebte, zeigt aber zugleich bereits, wie gewieft er insbesondere den Berliner Theaterbetrieb der Weimarer Republik beobachtet und wie genau er bei der Auswahl der Stoffe und deren Behandlung darauf geachtet hat, Kassenerfolge zu produzieren, also populär zu sein und diese Popularität in klingende Münze zu verwandeln. Hier tritt uns kein Schöngeist entgegen, sondern ein ausgebuffter Profi, für den der Erfolg zwar nicht jedes Mittel heiligt, aber der eigentliche Zweck seines literarischen Schaffens ist. Entsprechend opportunistisch, wendig und dem Zeitgeist ohne viel Gejammer auf der Spur zeigen die Briefe aus der Henndorfer Zeit bis 1938 einen Zuckmayer, der dem Nationalsozialismus zwar nicht auf den Leim geht, aber zu pragmatischen Kompromissen neigt, wenn es der Verbreitung seiner Werke - und damit dem Erzielen von Tantiemen - dient.
Zugleich bemüht Zuckmayer sich angesichts zunehmender Schwierigkeiten damit, auf dem deutschen Markt präsent zu bleiben (1935 wird die Auslieferung seines Romans Salwàre oder Die Magdalena von Bozen in Deutschland verboten), immer mehr darum, als Drehbuchautor Fuß zu fassen und die nationale Bühne gegen den internationalen Film zu tauschen. Damit aber begibt er sich auf einen Markt, in dem die Konkurrenz noch härter, die Umgangsformen noch rüder sind als im Berliner Theaterleben und in dem auf einfachere Plots, eingängigere Bilder und eine weit populärere Machart gesetzt wird, als Zuckmayer das bisher gewohnt war. In dieser Lage ist ihm Albrecht Joseph bis in die vierziger Jahre ein wichtiger Gesprächspartner, wobei es - wo dessen Briefe erhalten blieben - oft wirkt, als habe Zuckmayer sich in seinen viele Seiten umfassenden Episteln vor allem seine Selbstzweifel vom Hals geschrieben oder ein weinseliges Brainstorming durchgeführt, während Joseph die Rolle des nüchternen Kommentators zufiel, der überzeugende dramaturgische Hauptlinien und Konflikte brav lobte oder einforderte, ohne für Zuckmayers Anliegen immer großes Verständnis aufzubringen.
Wem das Wasser bis zum Hals steht, dem wachsen mitunter seltsame Flügel. Was Zuckmayer jedenfalls allein 1936-39 an Ideen ventilierte, an Treatments entwickelte und an Exposés niederschrieb, weist in seiner gehetzten Unausgegorenheit mitunter Züge grauser Komik auf. Fast immer ist das Populäre dabei ins Reißerische getrieben: Die Liebe und die Tragik können nicht groß genug, das Helle kann nicht hell, das Dunkle nicht dunkel genug sein, um mit den Mitteln einer keinesfalls sublimen Wirkungsästhetik kathartische Effekte in die Kinosäle zu zaubern, erst für Paris und London, dann zunehmend für die USA. Doch der Lohn dieser Betriebsamkeit ist karg: Fast alle Projekte enden in Produzentenschubladen, können sich gegen andere Drehbücher nicht durchsetzen oder nicht finanziert werden.
In diesen staunenswerten Briefen aus den dreißiger Jahren tritt uns Zuckmayer oft als literarischer Tausendsassa entgegen, der sich in den unterschiedlichsten Genres als knallharter Plot-Entwickler geriert und ironische Seitenhiebe sowie sarkastische Kabinettstückchen auf andere Größen der Branche (seien es Schauspieler, Autoren oder Regisseure) vom Stapel lässt, dabei aber, je schwieriger die Verhältnisse in Europa werden, immer mehr einem Menschen ähnelt, der im dunklen Walde pfeift. Dass er dabei beinahe in die Rolle eines Lohnsklaven im Bereich der modernen Kulturindustrie und Medienbranche gerät - in die Rolle von Kreativen also, die sich heutzutage mit dem Entwickeln von Vorabend-Serien, mit dem Schreiben von Gags für triste Comedians oder mit dem gemeinsamen Verfassen von Fantasyromanen über Wasser halten -, macht die fast beängstigende und erhellende Modernität dieser Briefedition aus. Dem Herausgeber Gunther Nickel ist es in seinem extensiven, Fleiß mit Umsicht und Spürsinn vereinenden Kommentar - der leider der ironischen Spitzen seiner Kommentierung von Zuckmayers Geheimreport entbehrt (s. Am Erker 45, S. 74ff.) - gelungen, Bedingungen und Umstände der Herausbildung eines Medienproletariats an den nervösen Suchbewegungen eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Dramatiker zu demonstrieren.
Zuckmayer wäre allerdings nicht der bedeutende Autor, für den ich ihn halte, wenn ihn nach halbherzigen Versuchen, sich am Broadway und in Hollywood zu etablieren, nicht doch der Ekel daran überkommen hätte, seine Haut hemmungslos zu Markte zu tragen. Dazu hat ihm neben Beziehungen und seinem Ruf aus Weimarer Tagen sicher auch die Erkenntnis verholfen, dass fortgesetzte literarische Prostitution bei andauernder Erfolglosigkeit zum Verlust der Selbstachtung führt. Genau in diesem Moment kam der Familie das Glück zu Hilfe, in Vermont eine abgelegene Farm zu finden, wo Zuckmayer aus dem Hamsterrad einer nur tagesaktuellen Marktschreiberei zu Stoffen zurückfand, deren Popularität außer Frage steht, deren Entwicklung aber keinen Kotau vor der Kulturindustrie bedeutete.
Während Zuckmayer in der Regel von sich aus die Initiative ergriff, war Albrecht Joseph ein rezeptiverer, weniger kreativer Mensch, der eher auf Zuruf, also auf Auftrag hin tätig wurde. Kein Wunder, dass es für ihn außer Frage stand, sich in der Filmfabrik Hollywood mühsam genug zu etablieren, was ihm erst Mitte der vierziger Jahre wirklich gelang, und zwar als Cutter, als Dramaturg eigener Art also. Viel mehr als ein leidlich bezahlter Wasserträger des Betriebs ist er dabei nicht geworden. Immerhin hat er die in Deutschland ab 1967 unter dem Namen Rauchende Colts sehr beliebte Vorabendserie Gunsmoke der CBS geschnitten.
So inspiriert und nicht selten begnadet komisch der Briefschreiber Zuckmayer auch im hohen Alter noch zu Werke geht, so unübersehbar fehlt den Briefen Albrecht Josephs das literarische Ingenium. Er ist primär Handwerker, der sich mitunter zwar begeistern lässt, aber gerade dort, wo er originell sein will, ausgesprochen konventionelle, in ihrer nicht selten verkrampften und renommiersüchtigen Schlüpfrigkeit quälende Briefe schreibt. Daher wohl fällt es schwer, bei der jahrelangen Auseinandersetzung der beiden darüber, ob das Drehbuch zum Hauptmann von Köpenick allein von Zuckmayer oder zu gleichen Teilen auch von Albrecht Joseph stammt, nicht Zuckmayers souveränen, Joseph empfindlich in die Schranken weisenden Ausführungen in seinem Brief vom 28. August 1957 zuzuneigen.
Die Freundschaft der beiden hatte da bereits gelitten, sicher auch, weil Zuckmayer unter den Remigranten so besonders arriviert war und in Helmut Käutner geradezu einen Hausregisseur gefunden hatte (Des Teufels General (1955), Ein Mädchen aus Flandern (1956), Der Hauptmann von Köpenick (1956)). Doch dahinter steckt nicht allein der Neid des erfolglosen Joseph: Auch Zuckmayers Briefe werden zunehmend maliziös, und er lässt es sich nur selten entgehen, auf seine Erfolge im Nachkriegsdeutschland, auf seine Ehrungen, auf die von ihm gehaltenen Jubiläumsreden und das ganze, ach so mühsame Repräsentieren hinzuweisen, besonders im Zusammenhang mit dem umjubelten Gastspiel des Schillertheaters Berlin in New York mit dem Hauptmann von Köpenick im Dezember 1964, das Zuckmayer als einen Triumph empfunden hat, nachdem er in Deutschland von Teilen der Kritik bereits zum alten Eisen geworfen worden war, und von dem er Joseph minuziös berichtet - sicher auch, weil er ihm die Schuld daran gab, durch seine Drehbucharbeit an einem Remake des Hauptmann von Köpenick 1940 seinen angestrebten Broadway-Durchbruch hintertrieben zu haben.
Da mutet es erstaunlich naiv an, dass Joseph im Februar 1965 einen sehr freundschaftlich klingenden, in der Erinnerung an alte Zeiten schwelgenden Brief an Zuckmayer geschrieben hat, der freilich - durchsichtig genug - darauf zielte, sich in dessen im Entstehen begriffener Autobiografie Als wär's ein Stück von mir einen Platz an der Sonne zu sichern, wie folgende Bemerkung deutlich werden lässt: "Was dein Erinnerungsbuch angeht - bitte glaub mir (und du kennst mich genug, um es glauben zu können), was immer du tust, ist mir recht. Ich habe nicht die leisesten Wünsche auf irgendein Überleben." Über diese Versicherung dürfte Zuckmayer herzlich gelacht haben. Kein Wunder, dass Albrecht Joseph es ihm später sehr verübelt hat, in der Autobiografie nur kursorisch erwähnt worden zu sein.

 
Carl Zuckmayer, Albrecht Joseph: Briefwechsel 1922-1972. Hrsg. v. Gunther Nickel. 728 Seiten. Wallstein. Göttingen 2007. € 39,00.