| "Reisen" ist das inoffizielle Thema 
                der neuen EDIT, in der Hannes Bajohr 
                mit "Memoiren" beeindruckt. Als seine Geschäftspartner 
                nicht auftauchen, gerät der durch New York treibende Ich-Erzähler 
                in eine Beobachtungswut, die den Lesern gestochene Bilder von 
                in eine Schuhputzmaschine geratenen Schnürsenkeln oder vom 
                Central Park bei unwirtlichem Wetter einträgt, aber auch 
                kluge, lässig eingestreute Reflexionen. Trotz Beschreibungspräzision 
                und intellektueller Brillanz: Die Genauigkeit mündet in Klischees, 
                und plötzlich ist es lesend, als sehe man einen oft geschauten 
                Film. Und doch ist es wie beim ersten Ansehen - eine seltsame 
                Überlagerung der Wahrnehmung, die sich konsequentermaßen 
                des Futurs bedient: "China Town, ich werde im Bus sitzen, 
                der mich fortbringen soll. Es wird halb acht Uhr morgens sein, 
                die blechernen Rollläden, noch heruntergelassen, die Luft 
                kühl-schwül, die Laster werden Dreckwolken paffend durch 
                die Straße brettern, andere vor den Geschäften stehen, 
                und dicke schwitzende Chinesen, auch Latinos und Schwarze, werden 
                Kisten ausladen."Von einer Reise anderer Art berichtet Tina Ilse Gintrowski in 
                "Plankton", wo eine Clique zu einem Musikfestival unterwegs 
                ist, aber auf der Autobahn in einen Stau gerät, was die Erzählerin 
                dazu nutzt, den ersten Joint zu rauchen. Langsam gleitet der Text 
                aus einer realistisch anmutenden Szenerie ins immer Diffusere 
                ab. Man hat das Festival erreicht, hat sein Zelt aufgebaut, hört 
                Musik, doch der Text folgt keiner Linearität oder Logik mehr, 
                sondern ist durch Wiederholungen und Parallelen strukturiert, 
                verdankt zufällig anmutenden Bewegungen der Protagonistin 
                seinen Fortgang, und so zerfällt der Raum, zerfallen die 
                Beziehungen der Elemente in ihm, bis nur noch ungerichtete, zersplitterte 
                Wahrnehmungen übrigbleiben: "[
] und ich erinnerte 
                mich nicht mehr, was ich wollte, dort, an dem Eiswagen, weshalb 
                ich weglief, und ich lief immer weiter, und verlief mich wieder, 
                und legte mich wieder auf den Boden, auf den Rücken, und 
                sah Sternbilder, die mir fremd waren, und es war ganz ruhig um 
                mich, gar keine Leute, oder nur sehr stille, alle weggeflogen, 
                nur noch Bäume, oder Beine, die wie Bäume aussahen, 
                und rauschten, [
] und so schlief ich einfach ein, und ließ 
                mich treiben, und träumte, vom Meer."
 Die neue Edit enthält zudem Gedichte und Tagebuchnotizen 
                des Norwegers Olav H. Hauge (1908-94), bei denen ich sofort die 
                grobkörnigen Schwarzweißbilder des so irritierenden 
                wie in Bann schlagenden Films "Why should I buy a bed when 
                all that I need is sleep?" über die letzten Jahre des 
                amerikanischen Lyrikers Robert Lax (1915-2000) vor Augen hatte, 
                der von 1964 bis kurz vor seinem Tod auf Patmos gelebt hat, einer 
                griechischen Insel, die dem Betrachter des Films in Bildern von 
                alttestamentarischer Kargheit und Wucht entgegentritt. "Hier 
                wohn ich länger als ein Menschenalter. / Jahre mit Wind und 
                Sternen in hohem Rigg / sind vorbeigesegelt. / Bäume und 
                Vögel ließen sich nieder hier, / doch ich bin nicht 
                zur Ruhe gekommen" - so lautet eines von Hauges schlichten 
                und doch wirkmächtigen Gedichten.
 
 Reisen und Abenteuer sind zwar keine Synonyme, aber die Schnittmenge 
                beider Begriffe ist erklecklich, wie auch die dem Abenteuer gewidmete 
                zwölfte Nummer der Bonner Zeitschrift Kritische 
                Ausgabe zeigt. Wieder sind es nicht so sehr die germanistischen 
                Beiträge, die vor allem erfreuen, sondern die von außerhalb 
                der Uni stammenden Texte, etwa der souveräne Essay "Das 
                Abenteuer Phantastik" von Molosovsky (eigentlich: Alexander 
                W. Müller).
 Der literarische Leckerbissen des Heftes aber ist Florian Neuners 
                "Dérive II: Batenbrock, Boy", in dem einer sich 
                durchs Ruhrgebiet - vornehmlich durch Bottrop-Boy - treiben lässt, 
                dabei aufschreibt, was er sieht, und diese Notate mit Reflexionen 
                anreichert, bis der Text zum Abbild einer industriegeprägten 
                Landschaft wird, in der es weder Zentrum noch Peripherie gibt, 
                nur ein zwischen Unorten herumstreifendes Ich. Erstaunlich, dass 
                die lustvoll und eloquent beschriebene Unstrukturiertheit der 
                Umgebung beim Lesen nicht ermüdet, sondern im Gegenteil die 
                Champagnerlaune eines fast überschwänglichen Freiheitsgefühls 
                hervorruft, das dem Motto des Textes wunderbar entspricht, einem 
                Satz des Situationisten Guy Debord nämlich, der da lautet: 
                "Die Formel zum Sturz der Welt haben wir nicht in Büchern 
                gesucht, sondern auf Irrfahrten." Nur dass eben auch diese 
                Irrfahrt sich in einem Text zuträgt.
 
 Wie aus einer Ferienidylle, der das Unbehagen nur diskret eingeschrieben 
                ist, ein Horrortrip im Quallenteppich der Medusen werden kann, 
                beschreibt Volker Kaminski in Ausgabe 185 von Sprache 
                im technischen Zeitalter und lässt damit die Texte 
                der Absolventen der Berliner Autorenwerkstatt Prosa 2007 im LCB 
                alt aussehen, was einmal mehr den Wunsch weckt, von ihm möge 
                nach nun sieben Jahren endlich wieder ein Buch erscheinen.
 Ausgabe 186 der sich inzwischen spritz nennenden Berliner Traditionszeitschrift 
                versammelt unter dem Titel "Stadteinsichten" sieben 
                Vorträge zum Thema "Akzeptanz und Aggression in der 
                urbanen Gesellschaft", die während der Leipziger Buchmesse 
                gehalten wurden. Besonders Rafael Chirbes - der Chronist der spanischen 
                Gesellschaft der Franco-Zeit - unterläuft dabei das Thema, 
                wendet sich auf den Spuren von Benjamins "Berliner Kindheit" 
                (und nicht auf denen von "Kindheit in Berlin", liebes 
                Lektorat) den frühen Imaginationsspendern zu, denen seine 
                Bilder von der Stadt sich verdanken, und lässt seine Leser 
                an frühen Lektüren teilhaben, an seinen Kinoerlebnissen 
                als Kind, an überwältigenden Bahnhofs- und Markteindrücken 
                an Mutters Hand. So erlebt man den Wahrnehmungsrausch des kleinen 
                Jungen mit, ohne dass die Erinnerungen - wie Benjamins melancholische 
                Veduten - zu aufgeladenen Bildern gerinnen.
 Nicht introspektiv oder imaginativ, sondern als genaue Beobachterin 
                der Außenwelt nähert sich die Kroatin Slavenka Drakulic 
                dem Thema und beschreibt, wie sie sich in Stockholm, Wien und 
                Zagreb eingelebt hat und den Umgang mit den Fremden dort wahrnimmt. 
                Was sie über Wien schreibt - einer Stadt, in der Migranten 
                aus Ost- und Südosteuropa ganz selbstverständlich am 
                Handy plaudern, ohne die Stimme (anders als etwa in München) 
                zu einem verschämten Flüstern zu senken -, kommt dabei 
                trotz ihres soziologisch präzisen, fast kühlen Blicks 
                einer Liebeserklärung gleich. Und interessanterweise ist 
                gerade Zagreb der für die Autorin befremdlichsten Zuwanderung 
                ausgesetzt, der Immigration vom Lande her nämlich, die sich 
                im urbanen Milieu des alten kroatischen Zentrums fremder ausnimmt 
                als vom Balkan zugezogene Städter dies als Neu-Wiener je 
                könnten.
 
 Die 19. Ausgabe der Bochumer Zeitschrift Macondo 
                bringt neben schönen Schwarzweißfotos zum Heftthema 
                "Paare" einige Texte von auch im "Erker" gern 
                veröffentlichten Autoren wie Cornelia Schneider, Steffen 
                Roye und Imke Müller-Hellmann.
 Besonders hervorzuheben ist aber Gunther Geltingers Romanauszug 
                "Mensch Engel", der in kühnen, himmelstürmerischen 
                Sätzen vom Coming Out eines jungen Mannes in einem fränkischen 
                Dorf am Main berichtet. Ein Fest der Worte und der Syntax ist 
                das, eine Feier des hohen, aber nie hohlen Tons eines Schriftstellers, 
                der sich selbstbewusst unter das Sprachzelt Rilkes stellt und 
                sein Motto aus der ersten Duineser Elegie wählt. Warum auch 
                nicht, wenn einer so schreiben kann: "Allein die trägen, 
                schwarzen, stinkenden Wasser des Mainflusses hatten jahrein jahraus 
                die endlosen Nachmittage seiner Kindheit auf den zirpenden, von 
                Pferdebremsen durchsirrten Schwemmwiesen, die durchqualmten, durchzechten 
                und durchquatschten Nächte seiner Rebellenjahre auf den moderigen 
                Sandbänken und die einsamen Spaziergänge über die 
                in brusthohem Gras verborgenen Ufertrampelpfade umspült, 
                auf denen Engel, in düstere Gedanken und zornige Selbstgespräche 
                versunken, die üblichen Kämpfe gegen verständnislose 
                Eltern, ungerechte Lehrer, hinterhältige Klassenkameraden 
                und eine erwachende, sich zum anderen Ufer, wie man landläufig 
                sagt, hinüberneigende Sexualität ausgefochten hatte, 
                und er muss grinsen angesichts der Doppelbödigkeit seines 
                Ausdrucks, fürchtet aber dann, dass dieser gar nicht so doppelbödig, 
                ja womöglich sogar ziemlich platt sei, will daraufhin die 
                ganze Passage wieder streichen, lässt sie dann doch, eher 
                aus einem Gefühl von Gleichgültigkeit als in Ermangelung 
                einer Alternative, stehen und fährt fort: Es war an einem 
                Abend Ende Mai [
]" - wie plastisch hier Emotionen, 
                Schauplätze, Menschen beschrieben werden und wie diese Beschreibung 
                zugleich als sprachliche Inszenierung reflektiert und geerdet 
                wird, das ist ein virtuoses Bubenstück und der Auftakt eines 
                vermutlich glanzvollen Debüts, das im August bei Schöffling 
                & Co. erschienen ist.
 
 Kultur & Gespenster aus Hamburg 
                ist keine literarische Zeitschrift, sondern ein cross-over-Projekt, 
                das die Künste mit deren Reflexion auf unterschiedliche Weise 
                kurzschließt und das Spielfeld des Bedenkenswerten in Bild 
                und Text mit lässig anmutender, dabei staunenswert überlegen 
                geführter Hand erweitert. In der sechsten Ausgabe bedenkt 
                Kai van Eikels anhand der musikalischen Formation "Broken 
                Social Science" die Möglichkeiten, als Künstler 
                in einem Schwarm exzellenter Talente nicht unterzugehen, sondern 
                strahlend zur Entfaltung zu kommen, sein Potenzial in einer Art 
                Genie-Pool in beflügelndem Wettbewerb zu steigern und stets 
                bereit zu sein, in wechselnden Formationen Neues zu probieren. 
                So schön und plausibel sich das anhört: Auch hier gilt 
                gewiss das alte "Kir Royal"-Motto "Wer reinkommt, 
                ist drin." Und wie weit es vom Schwarm bis zur Qualifizierung 
                "Die üblichen Verdächtigen" durch die wie 
                üblich unverdächtig außen vor Gebliebenen ist, 
                wird auch nicht thematisiert.
 Der erfrischende Polemiker Enno Stahl macht sich in dem Text "Bolz, 
                Hörisch, Kittler und Winkels tanzen im Ratinger Hof" 
                über die apokalyptischen Anwandlungen besagter Geisteswissenschaftler 
                und Großkritiker lustig, denen der Pogo der achtziger Jahre 
                nun als ordinarienartiger Diskurs-Pogo in die Glieder gefahren 
                sein soll, weswegen sie immerfort das Ende der Buchkultur verkünden 
                - in Büchern, wie sich versteht.
 Ole Frahm untersucht "Antisemitische Stereotype in Hergés 
                Tim und Struppi'" und fördert Überraschendes 
                zutage. Nathalie Grenzhaeusers Schwarzweißfotografien aus 
                Spitzbergen zeigen eine unwirtliche, durch die Eingriffe des Menschen 
                versehrte Landschaft, in der nicht zu sein man sofort froh ist, 
                um sich dann freilich - von Angstlust und einem Hang zur schönen 
                Leere angezogen - den Bildern immer wieder zuzuwenden. In einem 
                Comic von Alessandro Tota genügt es einem Partyschnorrer 
                nicht, sich zu betrinken und Mädchen mit plumpen Sprüchen 
                anzumachen, sondern er klaut auch noch ein T-Shirt und die Uhr 
                des Gastgebers, bekommt dafür aber ordentlich was aufs Maul: 
                ein schönes Seitenstück zu Blake Edwards "Partyschreck". 
                Und Roman Schramms "Living as an Art" versammelt so 
                elegante wie schwule Fotografien - herrlich der mit weit ausgefahrener 
                Zunge vor Fliesenhintergrund Eis schleckende Beau mit Einstecktuch 
                -, deren Überdeutlichkeit in leichtfüßige Ironie 
                umschlägt.
 Die neunte Ausgabe der wie eine LP-Hülle daherkommenden Leipziger 
                Zeitschrift plumbum ist wieder eine 
                Augenweide und aufgrund ihrer typografischen Gestaltung, besonders 
                aber wegen der vielen auf beigem Karton gedruckten Linolschnitte 
                von Gabriela Jolowicz, die Porträts, Selbstporträts, 
                Stadtlandschaften und Interieurs zeigen, ein bibliophiler Genuss. 
                Gegenüber dieser Opulenz tun sich die literarischen Texte 
                erneut schwer - bis auf "Flausen" von Jonas Philipp 
                Dallmann, der in den am Fuß der Textseiten schüchtern 
                mitlaufenden, durchnummerierten Fragmenten 5256 bis 5367 vom Ende 
                einer doch wohl großen Liebe erzählt, wobei es ihm 
                gelingt, emotionale Sätze und distanzierte Beobachtungen 
                - vermittelt nur durchs Zählwerk - zu einem schwebenden, 
                so persönlichen wie überpersönlichen Text von großer 
                Eindringlichkeit zu verschmelzen. Wie das aussieht, sei an zwei 
                Beispielen mitgeteilt: "### 5256 Seltener kommt es vor, dass 
                wir den Weg hinunter zum See machen; an den Ufern ist der Wind 
                scharf und der Weg voll Gestrüpp. Manchmal sehen wir einen 
                Angler, aber er grüßt nie." - "### 5309 Zuletzt 
                waren es nur noch Wiederholungen, zu denen wir uns verstanden; 
                es ist aber dennoch böse, wenn man hier nur Verdünnung 
                vermutet, Auflösung und Abschied. Nein, manches sah ich nun, 
                da das Licht sich zu trüben begann, aufrichtiger und wacher 
                als zuvor, etwa die Abnutzungen des Gestühls oder die falsch 
                ausgesuchten Lampenschirme oder eine Übermalung, deren Ton 
                nicht ganz geglückt war."
 
 Die fünfte Ausgabe von poet, dem 
                Magazin des Poetenladens, enthält naturgemäß viel 
                Lyrik, gut hundert Seiten nämlich, darunter Texte von Größen 
                wie Sylvia Geist, Martina Hefter und Andreas Altmann. In der Abteilung 
                Prosa begeistern Auszüge aus Carola Grubers Debüt "Alles 
                an seinem Platz - 66 mögliche Geschichten", einem Buch, 
                in dem die Autorin mit leichter Hand 66 Schreibregeln zur Textproduktion, 
                also 66 literarische Strickmuster zusammengestellt hat, die zugleich 
                66 wunderbar sinnliche und doch hochgradig reflexive, einander 
                spiegelnde und aufeinander verweisende Kurzprosastücke sind. 
                Diese poetologischen poèmes en prose machen Lust auf viel 
                mehr, und dass die Autorin, die aus der Hildesheimer Häschenschule 
                stammt, Ror-Wolf-Fan ist, lässt erwarten, dass auch ihre 
                künftigen Texte ein so sinnliches wie intellektuelles Vergnügen 
                werden.
 Daneben enthält das Magazin fünf Interviews mit bekannten 
                Lektoren oder Verlagsleitern wie Jo Lendle und Thorsten Ahrend. 
                Im Hinblick auf die Unsitte der letzten Jahre, Lyrik mit einem 
                Übermaß an aufgeblasenen, oft geradezu marktschreierisch 
                in die schöngeistige Nischenwelt entlassenen Reflexionen 
                zu begleiten, steuert Urs Engeler - Leiter des gleichnamigen Basler 
                Verlags - goldene Sätze bei: "Mir ist der Zusammenhang 
                von Gedichte schreiben und auf Gedichte reflektieren leider etwas 
                zweifelhaft geworden. So, wie es möglich ist, gute Gedichte 
                zu schreiben, ohne groß darüber nachzudenken, ist es 
                andererseits auch möglich, wenig gute Gedichte zu schreiben, 
                aber viel darüber zu reden. Will sagen: Gegenwärtige 
                poetologische Unternehmungen erlebe ich eher als Selbstproklamation 
                denn als Selbstreflexion, eher also als die Werbe- und nicht die 
                Forschungsabteilung des Unternehmens AutorIn'". Danke 
                für dieses klare Statement.
 
 Die 21. Ausgabe der Hildesheimer Bella triste 
                nämlich treibt es einmal mehr allzu lyrisch bzw. lyrikreflexiv, 
                nachdem es in der 20. Nummer fast schon so ausgesehen hatte, als 
                gäbe es noch andere spannende Gattungen. Zumal Thomas Stangls 
                Essay "Andere Orte" über Raymond Roussel (1877-1933) 
                bot interessante Einblicke in das Werk des hierzulande kaum bekannten 
                französischen Autors. Ausgangspunkt der Beschäftigung 
                mit Roussel war, dass Stangl nach der Veröffentlichung seines 
                Romans "Der einzige Ort" (2004) feststellte, dass es 
                bereits ein Buch namens "Locus Solus" gab. Die so angestoßene 
                Beschäftigung mit Roussel mündet in die Erkenntnis: 
                "Roussels Geschichten [...] wollen nichts erzählen, 
                sondern vom Hundertsten ins Tausendste, immer weiter weg von jedem 
                Ziel, jedem Gegenstand kommen (das einzige Ziel, dem sie sich 
                annähern, ist das erfüllte Wortspiel [...])." Als 
                Beispiel für die damit einhergehende Unübersetzbarkeit 
                berichtet Stangl: "Er sucht zwei Sätze mit beinahe gleichlautenden 
                Wörtern und unterschiedlicher Bedeutung ('les lettres du 
                blanc sur les bandes du vieux pillard / billard' - 'Die Briefe 
                des Weißen über die Banden des alten Plünderers' 
                - 'Die weißen Buchstaben auf den Banden des alten Billardtisches' 
                - Ausgangspunkt der 'Impressionen aus Afrika') und versucht eine 
                Geschichte zu konstruieren, mit der er von der einen zur anderen 
                Bedeutung gelangt [...]" - ein sympathisches Unterfangen.
 
 Auch die Neue Rundschau, die seither 
                mit Heften zu Wolfgang Hilbig und Peter Szondi beeindruckte, hat 
                sich zu Jahresbeginn unter dem schönen Titel "Lyrikosmose" 
                auf den Hildesheimer Lyrikzug geschwungen und das Lyrikfestival 
                MainPoesia, das im April 2007 erstmals im Frankfurter Literaturhaus 
                stattfand und in dessen Mittelpunkt die Gedichte von Emily Dickinson 
                standen, dokumentiert. Dirk von Petersdorff, Nadja Küchenmeister 
                und Hendrik Rost beispielsweise haben so entspannte wie genaue, 
                dem Erinnern gewidmete Alltagsgedichte beigesteuert; Monika Rinck 
                hat sich von Dickinsons Texten ("bliss was most to blame. 
                am meisten schuld war glück.") zu weit ins Offene führenden 
                Sprachexperimenten anregen lassen; und die Beilage "Ankleben 
                verboten! Die Technik des Schriftstellers in 13 Thesen", 
                die dort von Henning Ahrens beschickt wird, entwickelt sich immer 
                mehr zum Fragebogen à la FAZ: Wer sich hier nicht 
                exponiert, ist ein Feigling, doch wer sich hier blamiert - was 
                Ahrens freilich nicht passiert -, tut es sehr öffentlich.
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