Anna Serafin
"Zuerst lasse ich mir einen neuen Ausweis machen", erklärte Janek eines Nachmittags nach der Zeitungslektüre und erhob sich aus dem Sessel.
Er sah aus dem Fenster, ging ins Bad, rasierte sich sorgfältig, begutachtete sein Gesicht und entschied, er müsse noch zum Frisör. Erst dann begab er sich zum Fotografen in der Hanka-Sawicka-Straße. Hier waren wir nach Anias Kommunion, dachte er schmunzelnd. Zu Hause hatten sie mit Basia herzlich über die Bilder gelacht. Im engen Anzug hatte Janek streng und gequält geblickt wie ein Ordnungshüter am Staatsfeiertag. Basia dagegen hatte die sanfte Miene einer erschrockenen Hausfrau aufgesetzt, während die ältere Tochter die Hände in die Tasche geschoben und ihr Gesicht zu einer verärgerten Teenie-Grimasse verzogen hatte. Nur die Heldin des Tages hatte im schlichten weißen Kleid gut ausgesehen. Nach vier Tagen holte Janek die kleinen Schwarzweißfotos ab und ging aufs Rathaus. In der Rubrik Familienstand trug er schwungvoll "ledig" ein und klopfte. Er rechnete mit Fragen: Warum benötige er denn einen neuen Ausweis? Sei der alte ihm gestohlen worden? Vielleicht sollte er lügen, aber dafür müsste er den Ausweis erst bei der Miliz als gestohlen gemeldet haben und obendrein eine Frist abwarten, und all das wollte Janek nicht.
Die Beamtin warf einen flüchtigen Blick auf das Gerichtsurteil und nahm die Unterlagen kommentarlos entgegen. "Kommen Sie in zwei Wochen wieder", sagte sie trocken. Warum habe ich bisher nur immer so viel verschoben? Sich den Dingen stellen und sie anpacken, das sollte man. Immer in Bewegung bleiben, erledigen, abhaken, sich umschauen und eine neue Aufgabe auf die Liste setzen, sinnierte Janek auf dem Weg zum Marktplatz. Zwei Wochen später nahm er ein grünes Büchlein mit aufgedrucktem Adler entgegen und sollte der Beamtin gegenüber die Angaben prüfen. Sein Blick wanderte sofort zur Rubrik Familienstand. Frei! Nickend schob er den Ausweis in die Tasche. Und frei fühlte Janek sich auch, als er zwei Stufen auf einmal nahm, die schwere Eingangstür öffnete und auf den Platz trat. Er atmete tief durch und spürte die Energie. Die Zeit war gekommen: Nun würde alles besser werden! Vielleicht sollte er mit dem Rauchen aufhören? Also griff er nicht zur Schachtel und schaute sich mit breitem Lächeln um. Über den Slowianski-Platz schlichen Menschen mit gesenkten Köpfen; viele trugen schwere Taschen. Merkten sie denn nicht, dass der Winter dem Ende zuging und die Steinplatten nicht mehr glatt waren? Es roch schon nach Frühling, bald wäre alles grün! Ende Februar war es noch kalt, aber die Tiere wussten schon Bescheid. Janek blieb kurz stehen, hob den Kopf und hörte süßes Zwitschern von oben. Lächelnd dachte er an seine wiedergewonnene Freiheit. Seit längerem schon hatte er es deutlich gespürt: Überall war es zu eng und zu drückend gewesen. Wie hätte er sich frei bewegen und sich entfalten können? Wie wieder eigene Wege gehen sollen, ohne Rücksicht? Dann hatte er begonnen, Streit mit Basia zu provozieren. Er wusste, was er sagen musste. Und sie war darauf eingegangen! Irgendwann hatte ihre Ehe das zwangsläufige Ende gefunden. Hätte es etwa eine elegantere Lösung gegeben? Alles wurde anders: Nach dem Aufwachen stand er schnell auf, und seine Tage bekamen Struktur und Inhalt. Frisch rasiert, sah Janek sich im kleinen Bad um: Wenn es warm wurde, würde er streichen. Und auch Fliesen legen? Vielleicht hatte er Glück und konnte sich eine vollautomatische Waschmaschine kaufen? Vorerst hängte er einen Spiegel mit üppigem Goldrahmen auf, den er beim Trödler ergattert hatte. Plötzlich musste er nicht mehr zwei Stunden verbummeln, ehe er das Haus verließ. Er saß nicht mehr über einer Zeitung, während ihm tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Noch vor kurzem hatte er morgens im Bett gelegen und an die Decke geschaut. Im Stillstand hatte er sich wie wattiert gefühlt und zugleich eine gewaltige Wut auf sich gehabt. Vor allem keine Frauen, dachte Janek und tupfte sich After Shave aus dem Westen ins Gesicht. Jedenfalls nichts Festes, fügte er hinzu, kämmte sich ein paar Haarsträhnen über die glatte Stirn und sprühte großzügig Festiger drauf. Dann ging er zum Bäcker und zum Kiosk und kaufte im Lebensmittelladen noch einen Liter Milch bei der neuen, umwerfend aussehenden Kassiererin. Pfeifend machte Janek sich Rührei mit Schnittlauch und ging berstend vor Energie zu Fuß in die Stadt. Heute ist Monatsende und obendrein Freitag - am Abend sitze ich lange genug am Steuer, dachte er und ging an seinem grauen Fiat mit der Nummer 364 vorbei.
Im Stadtzentrum betrat Janek das frisch renovierte Haus, in dem die Verwaltung für Privatinitiative, Gewerbe und Handwerk saß. Die Wände im Flur waren mahagonigetäfelt, und die Türen hatten kunstvolle Klinken. Die Taxler besaßen im zweiten Stock prächtige, üppig beleuchtete Zimmer. Bei uns arbeiten die hübschesten Sekretärinnen, dachte Janek, als er die Tür aufmachte und Schreibmaschinengeklapper hörte. Nach der Scheidung musste er einen aktuellen Verdienstnachweis bei Gericht abgeben. Davon hing die Höhe seiner Unterhaltszahlungen ab.
"In so einem Fall sollte man nicht übertreiben", sagte er zum Abschied, und die Buchhalterin zwinkerte ihm zu. |