Kai Köhler
I
Ein sächsischer Grenadier, der im Spätherbst 1812 auf
dem Rückzug, nein eher: auf der Flucht der Grande Armée
aus Rußland sein Gewehr gegen ein Stück Brot eingetauscht
hatte, stieß auf einen ebenso abgerissenen Offizier, der
beschloß, gegen solchen Defätismus ein Exempel zu statuieren.
Anstelle der letzten Gewalt, die angesichts der weitgehenden Auflösung
jeder militärischen Ordnung wohl ihm persönlich zugestanden
hätte, begnügte sich jedoch der Offizier, der auch seit
zwei Tagen nichts mehr gegessen hatte, mit der pädagogischen
Maßnahme, den Untergebenen zum Rücktausch, und zwar
gegen sein eigenes Gewehr, zu zwingen. Nun wieder brotlos, doch
bewaffnet, eröffnete sich dem immer hungrigeren Soldaten
die Möglichkeit, sich beides anzueignen, ja: vom zerfallenden
Heer und dem Tauschprinzip überhaupt abzugehen und die gemeinsame
Niederlage in individuelles Gelingen, möge es über kurz
oder lang auch zum Galgen führen, zu verwandeln.
Nun dachte unser Mann, wenn ihn gerade die Not zu nichts anderem
zwang, streng rechtlich, was auch hieß, daß er die
Vorteile zu erwägen wußte, die nun ein Handeln im Rahmen
der Ordnung, die in irgendeinem Kriegshauptquartier noch herrschen
mochte, bot. Wirklich gelang es ihm, seinen Vorgesetzten mit der
Waffe in der Hand bis zu einem General zu treiben, der die propagandistische
Möglichkeit, die sich ihm in der allgemeinen Auflösung
bot, begriff. Der Offizier, der seine Waffe wegtauschte, wurde
wegen Defätismus erschossen; der einfache Mann hingegen hatte
für einen Abend teil an den Köstlichkeiten, die in jedem
Krieg zu jeder Zeit irgendwo aufzufinden sind, und gelangte, als
Vorbild an Pflichterfüllung gehegt, als einer von wenigen
zurück nach Deutschland, wo ihm im Folgejahr bei Leipzig
eine Kanonenkugel den Kopf abriß.
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