Manfred Etten
Damals, als ich mit der Straßenbahn stadteinwärts
fuhr, abends in der Dunkelheit, durch nie gesehene, fremde, mir
ganz unbekannte Viertel, in der taghell erleuchteten Bahn, draußen
tiefe Nacht und Regen, italienische Restaurants in auffallend
großen Mengen, in Reihen hintereinander, und viele andere
Gaststätten, strahlende Autohäuser, Fabrikhallen, geschwärzte
Mauern, immer weiter, immer tiefer in die verregneten entlegenen
Winkel hinein, die Haltestellen trugen seltsame Namen wie Gemarkungsgrenze,
Zwergallee, Sauluspark, als ich um mein Augenlicht fürchtete
oder wenigstens mit einem Nachlassen der Sehkraft rechnete, mit
einem Überhandnehmen der Dunkelheit und Unschärfe, den
Luftzug auf der Netzhaut spürte, erinnert ich mich, dass
ich dort, in dieser Gegend, vor langer Zeit einmal gewohnt hatte...
Als ich an einem anderen Tag ein zweites Mal dieselbe Strecke
fuhr, früher Nachmittag im Sommer, sah und merkte ich nichts
dergleichen, die Auswahl an Farben war groß, das gelbe Gras
und Unkraut wucherte bis dicht an die Schienen heran, Lichtblitze
flogen durch die Straßen, ich fühlte eine Taschenuhr
in mir drinnen ticken, die Stationen nahm ich nicht wahr, die
Haltestellen waren scheinbar abgeschafft, obwohl doch Menschen
einstiegen und ausstiegen, Ehepaare mit Zwillingskinderwagen,
orientalische Fußballspieler, die zusteigenden Fahrgäste
wurden immer älter, nur ich allein blieb jung, blieb sitzen
und fuhr weiter bis zum Hauptbahnhof, sprang aus der Straßenbahn,
ging, nein rannte zum Zug, ohne dass mich einer daran hinderte.
|