Heiße Liebe, warme Socken
Rolf Birkholz
Im Gedicht kann die Sehnsucht zur Person werden, ein Fisch im Schiff auf große Fahrt gehen. Und auch die heißeste Liebe trägt dort "in eisgrauen Zeiten / Socken und festes Schuhwerk." In ihrem Band Der Hering im Schnee schöpft Ilona Lütkemeyer viele poetische Möglichkeiten aus. Und ihre feinen Illustrationen dazu haben einen ganz eigenen Wert.
Nach zwei Prosabänden knüpft die 1960 geborene Autorin an ihre Gedichtsammlung Der Sprung ins grüne Licht (2003) an. Ging es damals um "Erotische Miniaturen und Haiku", ist die aktuelle Auswahl thematisch breiter angelegt. Die sechs Kapitel drehen sich um autobiografische Rückblicke, um die Liebe, um Reisen, Natur, ein wenig Lockdown-Lyrik und das Schreiben selbst.
Geblieben ist aber Ilona Lütkemeyers offene, öffnende, am Auge wie am Ohr des Lesers interessierte Schreibweise, ohne ihm jedoch zu Lasten ihres poetischen Anspruchs zu sehr entgegen zu kommen. Das titelgebende Gedicht zeigt mustergültig die Leserführung der Dichterin, ihren geschickten Umgang mit Lesererwartungen. Ganz leicht zieht das lyrische Ich in eine Begegnung mit seinem Vater hinein, lässt es erschrecken vor einer nur erzählten Begebenheit aus dessen Jugend, bis zu ganz anderer, realer Bestürzung am Ende. Eine eher heitere Art von Überraschung erweist sich an einem Tagtraum von großer Fahrt, dem sich ein Fisch bei der Morgentoilette hingibt.
Wirkliche Reisen gehen zu "Inseln jenseits der Fantasie", auf die Azoren, nach Indonesien, nach Indien wiederum eine auf Juist erzählte. Einmal wird Robert Louis Stevensons Die Schatzinsel gestreift. An anderer Stelle ("Frühling") scheint Eduard Mörike durch, und bei der treffenden "Havelland"-Skizze ein wenig Theodor Fontane.
Die Liebe wird in vielen Schattierungen behandelt. Der Achtzeiler "verliebt" träumt verlockend zuversichtlich. Anders anreißend das den Band eröffnende jugendbewegte Badeerlebnis an der Isar: "nehmen es nackt mit der Strömung auf / sind unsterblich", der "Kultfilm" ("der Wagen und ein wehender Schal") oder das super coole "Zurück ins Spiel" ("Danach lehne ich lässig am Kotflügel // Ich weine nie"). Hier findet sich auch eine direkte, quasi buchstäbliche Verbindung zwischen Text und Bild.
In "Zu Gast" beschreibt Ilona Lütkemeyer eine Begegnung zwischen Gedicht und Leserin und empfiehlt: "Setz dich zu ihm / es wird dir Köstlichkeiten auftischen." Da wird in Bezug auf ihre Lyrik nicht zu viel verheißen. |