Am Erker 81

Jürg Halter: Gemeinsame Sprache

 
Rezensionen

Jürg Halter: Gemeinsame Sprache
 

Krank nach uns selbst
Rolf Birkholz

Die Wohlstandsgesellschaft ist ihm eine Zumutung, das Weltall "eine Diva, die sich niemand ausdenken kann." Dazwi­schen bewegt sich beunruhigt der Schweizer Dichter Jürg Halter in seinem Band Gemeinsame Sprache. Aber selbst "Gott vor dem Urknall" schien laut gleich­namigem Gedicht ja einigermaßen ratlos, schwankend zwischen "Was könnte ich tun?" sowie "Und wenn es schiefläuft?"
In dieser Lage betrachtet Halter, geboren 1980, unter anderem "Die Fragwürdigkeit des Menschen" ("sie ist unantastbar"), bietet "Erste Hilfe für Anzugträger" ("Ihr Ernstgenommenen, woran leidet ihr ei­gentlich?") oder spricht ein "Atheistisches Gebet": "Errette mich wer aus diesem / schön möblierten, keimfreien, wabernden Nichts!"
In meist klarer, eher prosanaher, mitunter sinnspruchreifer Sprache ("Wer alles er­klären kann, hat nichts zu erzählen", Hal­ter hat zu erzählen) schaut der auch als Spoken Word Artist aktive Autor auf die Verhältnisse, sieht sie im Schlussteil "Wenn die Worte aufgebraucht sind" von Rausch umnebelt, dann, wenn nur noch Kummer das Getränk der Wahl ist.
In all dem fein formulierten Weltekel ("Wir sind krank nach uns selbst") zwischen Liebeswunsch und Selbstabschaffungs­fantasien eröffnen sich immer wieder un­gewöhnliche Perspektiven. "An manchen Tagen der Wunsch, / leichtsinnig in den Himmel zu fallen", wird in "Offenes Weiß" ein altes Bild gut aufgefrischt. Und der wunderbare "Monolog einer Pfütze" richtet das Augenmerk auf ein unschein­bares, in der Regel missachtetes Phäno­men und zugleich auf eine ganze Welt.
Wenn Jürg Halter am Ende des übrigens auch durch das Element Wasser gepräg­ten Titelgedichts "Gemeinsame Sprache" fragt: "Liebste, welche Sprache / spre­chen wir gemeinsam?", auch dann spie­gelt die Pfütze eine Antwort.

 

Jürg Halter: Gemeinsame Sprache. Gedichte. 152 Seiten. Dörlemann. Zürich 2021. € 20,00.