Krank nach uns selbst
Rolf Birkholz
Die Wohlstandsgesellschaft ist ihm eine Zumutung, das Weltall "eine Diva, die sich niemand ausdenken kann." Dazwischen bewegt sich beunruhigt der Schweizer Dichter Jürg Halter in seinem Band Gemeinsame Sprache. Aber selbst "Gott vor dem Urknall" schien laut gleichnamigem Gedicht ja einigermaßen ratlos, schwankend zwischen "Was könnte ich tun?" sowie "Und wenn es schiefläuft?"
In dieser Lage betrachtet Halter, geboren 1980, unter anderem "Die Fragwürdigkeit des Menschen" ("sie ist unantastbar"), bietet "Erste Hilfe für Anzugträger" ("Ihr Ernstgenommenen, woran leidet ihr eigentlich?") oder spricht ein "Atheistisches Gebet": "Errette mich wer aus diesem / schön möblierten, keimfreien, wabernden Nichts!"
In meist klarer, eher prosanaher, mitunter sinnspruchreifer Sprache ("Wer alles erklären kann, hat nichts zu erzählen", Halter hat zu erzählen) schaut der auch als Spoken Word Artist aktive Autor auf die Verhältnisse, sieht sie im Schlussteil "Wenn die Worte aufgebraucht sind" von Rausch umnebelt, dann, wenn nur noch Kummer das Getränk der Wahl ist.
In all dem fein formulierten Weltekel ("Wir sind krank nach uns selbst") zwischen Liebeswunsch und Selbstabschaffungsfantasien eröffnen sich immer wieder ungewöhnliche Perspektiven. "An manchen Tagen der Wunsch, / leichtsinnig in den Himmel zu fallen", wird in "Offenes Weiß" ein altes Bild gut aufgefrischt. Und der wunderbare "Monolog einer Pfütze" richtet das Augenmerk auf ein unscheinbares, in der Regel missachtetes Phänomen und zugleich auf eine ganze Welt.
Wenn Jürg Halter am Ende des übrigens auch durch das Element Wasser geprägten Titelgedichts "Gemeinsame Sprache" fragt: "Liebste, welche Sprache / sprechen wir gemeinsam?", auch dann spiegelt die Pfütze eine Antwort. |