Am Erker 69

Dieter P. Meier-Lenz: hirnvogel

 
Rezensionen
Dieter P. Meier-Lenz: hirnvogel
 

Im Frühling lügt Rot grün
Rolf Birkholz

Ja, das mag spannend sein: "er knöpfte der nacht / die bluse auf / und ging / ihren brüsten nach", schreibt Dieter P. Meier-Lenz in dem Gedicht "abenteuer". Und lässt vorm Leser ein surreales Bild entstehen. Bildhaft und dabei eher knapp gehalten sind die aus seinen früheren Büchern ausgewählten Gedichte, die der Autor jetzt unter dem Titel hirnvogel zusammengestellt hat.
Das erste Kapitel ist ganz den Farben gewidmet. Es charakterisiert sie ("schamlos lacht das rot" und "im frühling / lügt das rot grün"). Und es sieht auch Klänge farbig: "der gesang der zikaden ist braun / aber in ihrem echo / steckt der regenbogen". Doch während die Wandlungsfähigkeit des Rots eher betrügerisch wirkt, lassen die "variationen über das weiß" dieses positiv erscheinen: "im wald ist das weiß grün / in der liebe reicht es von / ultraviolett bis infrarot".
Leicht erotisch untermalt sind einige dieser Gedichte, beim "karneval" der Wörter bemerkt das lyrische Ich: "das wort liebe / hat sich für immer / als hexe verkleidet". Auch Eindrücke aus Frankreich, wo der langjährige Redakteur der Literaturzeitschrift die horen lebt, finden sich. Er beobachtet die allabendliche "wiedergeburt der stadt" und schmeckt den "mundgeruch von paris" am späten Vormittag, wenn "lutetia" aus dem Bett steigt.
Über das Dorfleben ("dörflich") gelingt ihm ein doppeldeutiges Verspaar: "die kirche bleibt im dorf / sie ist kein thema". Ist sie der Normalfall, oder spielt sie keine Rolle mehr? Für den Autor eher nicht, ist, immerhin aber im Titelgedicht, Gott, "den es in tausend einbildungen gibt / hirnvogel der aufgestiegen ist", doch einer, der "ganz klein vegetiert" da oben.
Nein, weder religiösem noch einem Reimzwang unterwirft sich der 1930 geborene, gewiefte Schreiber, zeigt aber natürlich, dass er reimen kann. Und so lässt es sich Dieter P. Meier-Lenz auch nicht nehmen, den Band mit einem kraft der Souveränität des Seniors gefügten Sonett zu beschließen, endend: "kein inhalt und ohne gewicht / und schon im entstehen zersprungen / so endet mein letztes gedicht". Dies also kann es noch nicht gewesen sein.

 
Dieter P. Meier-Lenz: hirnvogel. ausgewählte gedichte 1990-2014, mit 7 zeichnungen von Brigitte Kühlewind Brennenstuhl. 94 Seiten. Pop. Ludwigsburg 2014. € 13,99.