Abrentnern
Fritz Müller-Zech
Möchte man eigentlich als Erwachsener Bücher über Halbwüchsige lesen, die ohne ihr Lieblingskissen seit Kindertagen nicht einschlafen können, aber mit Begeisterung rauchen und Dosenbier trinken? Nun, wenn es sich dabei um Jungs wie den Bonner Oberstufenschüler Niels handelt, der auf seinem iPod Stücke von Velvet Underground, Bob Dylan und Iron Butterfly mit sich herumträgt, könnte eine literarische Begegnung dieser Art auch für Menschen meiner Generation nicht uninteressant sein, obschon sich unser Held mit Leuten abgibt, die gerne juvenile Ausdrücke wie "Kackomat" benutzen, wenn ihnen etwas Bemerkenswertes widerfährt.
Niels ist neu in Bonn, findet aber rasch Anschluss. Mit dem Nerd Yannick hockt er vor dem Computer, und mit René, der sich gerade die Haare lang wachsen lässt, gründet er eine Band. Doch bis es so weit ist, dauert es noch ein wenig. Erst mal muss eine Idee her. Und die liefert René, als die beiden im Park ein älteres Ehepaar in einheitlichem Beige beobachten. "Abrentnern" lautet das Schlagwort: "Nur noch Apotheken-Umschau lesen, Seniorenteller essen und durch die Stadtparks cruisen". Damit steht der erste Teil des Mottos (der zweite Teil verlangt sinnvollerweise nach dem Weltfrieden) von "Fuckin Sushi", jener seltsamen Combo, deren kurze Popkarriere Marc Degens' gleichnamiger Roman mit viel Anteilnahme schildert. Genauer gesagt, schildern lässt, denn Niels ist nicht nur die Hauptfigur, sondern auch der Erzähler der Geschichte, die mit einem Unplugged-Auftritt als Duo in der Fußgängerzone von Bad Münstereifel (Zither, Bongos, Akkordeon) beginnt, bei einer Mini-Tournee ihrem Höhepunkt zustrebt und bereits zu Ende ist, als der Auftritt bei einem Talentwettbewerb in Köln in die Hose geht. Das ist der Stoff, aus dem Pop-Legenden sind. Niels, seit einer kurzen, aber heftigen erotischen Begegnung völlig von der Rolle, ergeht es wie weiland Syd Barrett, den seine Pink-Floyd-Kumpel auf dem Weg zu einem Konzert in Southampton einfach nicht abholten. Als er wegen der Beerdigung seiner Oma einen Auftritt versäumen muss, werfen ihn die anderen aus der Band, die sich nun auch nicht mehr "Fuckin Sushi" nennt. Am Ende hockt Niels in New York und will nicht mehr zurück nach Deutschland. Er hat ein Mädchen kennengelernt.
Marc Degens hat mit Fuckin Sushi - das Cover ziert interessanterweise eine fast leere Currywurstschale - einen 1-A-Adoleszenzroman vorgelegt, dessen Held viele Erfahrungen macht, dabei aber ziemlich wenig lernt. Zumindest lässt er es uns nicht wissen. Das ist ein sehr sympathischer Zug. Schließlich hat Niels noch viel Zeit, liegt doch das Ende der Jugend heutzutage ungefähr bei Anfang 40. Und dann kann man direkt mit dem "Abrentnern" beginnen. |