Am Erker 67

Assaf Gavron: 'Auf fremdem Land'

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Assaf Gavron
Luchterhand

 
Rezensionen
Assaf Gavron: Auf fremdem Land
 

Zurück zur Natur
Volker Kaminski

Während die Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern wieder einmal ins Stocken geraten sind und eine Lösung des Nahostkonflikts in weite Ferne rückt, hat der israelische Bestsellerautor Assaf Gavron einen schwergewichtigen Roman veröffentlicht, in dem er die - fiktive - Gründungsgeschichte und den Ausbau eines illegalen Siedlungsstützpunkts mitten im Westjordanland thematisiert.
Auf fremdem Land erzählt von den spannenden und ergreifenden Geschehnissen um einen nicht genehmigten israelischen Außenposten auf palästinensischem Gebiet, doch der Roman ist weit mehr als eine politische Parabel auf die bekannten Probleme zweier unversöhnter Nachbarn. Mit ironischer Distanz schildert der Erzähler den bürokratischen Wirrwarr, den die willkürliche Bewirtschaftung des Gebiets durch eine Handvoll Siedler auslöst. Ein Mann namens Otniel Asis bricht in die Wildnis auf, um in der Einöde ein wenig Landbebauung zu betreiben, eine Ziege zu halten und Ruccola und Cherrytomaten für seine Frau und Kinder anzupflanzen. Während er die ersten Schritte zur Übersiedlung von der Stadt aufs Land unternimmt, einen Wohnwagen aufstellen lässt, eine notdürftige Wasser- und Stromversorgung einrichtet und sich ihm auch schon ein paar weitere Siedler anschließen, wird gleichzeitig das Mahlen der bürokratischen Mühlen im nahen Jerusalem und in der Hauptstadt beschrieben.
Beim Lesen wird schnell klar, dass es dem Autor nicht um eine Stellungnahme zum aktuellen israelischen Siedlungsbau geht. Die Menschen, die in der Einöde zusammenkommen, handeln aus persönlichen Motiven, sie geben ihre bürgerliche Existenz auf, steigen aus ihren Berufen als Lehrer oder Buchhalter aus, um mit ihren Familien ein Leben unter archaischen Bedingungen in der freien Natur zu führen. Warum sie das im Einzelnen tun, welche Rolle der Glaube dabei spielt, mit welchen Widrigkeiten sie zu kämpfen haben (Kälte, Regen, wilde Tiere etc.), all das wird uns höchst plastisch nahegebracht. Der Erzähler gewinnt dem einfachen Landleben durchaus etwas ab, auch wenn er die Entbehrungen und dauernden Rückschläge nicht verschweigt. Ein Hauch von Segen der Erde durchweht den Roman, vor allem da, wo es um die Begegnung von Mensch und Natur geht und wo die Siedler viele Opfer bringen, um sich eine neue Existenz im ungeschützten Raum der Wildnis aufzubauen.
Dies trifft vor allem auf eine der zwei Hauptfiguren zu, Gavriel (im Roman meist Gabi genannt). Eines Tages ist er in "Chermesch 3" eher zufällig gestrandet, fühlt sich aber von der Siedlergemeinde vom ersten Moment an herzlich aufgenommen. Nachdem sein Leben als Ehemann und Vater gescheitert ist, will Gabi sich mit eigenen Händen ein bescheidenes Heim aufbauen, lebt als gläubiger Siedler im Wohnwagen und beschließt eines Tages, ein Stück abseits ein frei stehendes "Zimmer" zu errichten, um dort nachts die Sterne über der Wüste zu beobachten.
Die andere Hauptfigur ist sein Bruder Roni, der in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Gabi ist. Als Roni nach "Chermesch 3" flüchtet, ist er gerade als Investmentbanker in New York gescheitert, hat gewaltige Geldsummen bei riskanten Aktiengeschäften verloren, die Gläubiger sitzen ihm im Nacken, doch statt auf dem Stützpunkt zum praktizierenden Gläubigen zu werden und Gabi und den anderen beim Aufbau der Siedlung zu helfen, beginnt er mit einem arabischen Bauern, dem die angrenzenden Olivenhaine gehören, Olivenölgeschäfte im großen Stil anzubahnen. Eigentlich scheint Roni ein Nichtsnutz und Glücksspieler, und doch beweist auch er im Laufe der Geschichte wachsende Einsicht in sein eigenes Scheitern, versöhnt sich mit seinem Bruder und fasst wieder Fuß im Leben.
Der Roman lässt sich auf zwei unterschiedliche Arten lesen, die sich jedoch berühren; man kann ihn mehr sozialpolitisch verstehen (wofür vor allem die Fülle an Personen spricht) oder auf seine moralisch-menschliche Intention abheben (das Schicksal der problematischen Brüder). In beide Richtungen bietet er eine Fülle von glänzend recherchiertem Material und packend erzählten Geschichten.
"Chermesch 3" mit seinen Bewohnern ist nicht nur irgendein Ort in der palästinensischen Wüste, den heilsversessene Outcasts und gescheiterte Zivilisationsflüchtlinge aufsuchen, um den Traum vom Pionierleben wahrzumachen. Er ist vor allem ein Ort, an dem Menschen vor existenziellen Bewährungsproben stehen und auf friedlichen Zusammenhalt dringend angewiesen sind, wenn sie den Glauben an ein gelingendes Dasein nicht aufgeben wollen. Insofern besitzt der Roman eine höchst aktuelle Botschaft auch in Richtung politischer Versöhnung.

 
Assaf Gavron: Auf fremdem Land. Roman. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. 544 Seiten. Luchterhand. München 2013. € 22,99.