Madame Bovary im neuen Gewand
Gernot Wolz
Flauberts Madame Bovary gilt als der vollkommene Roman, seine Heldin als eine der berühmtesten Frauen der Welt. Nie zuvor hat ein Autor für einen Roman so an seinem Stil gefeilt, der Prosa so viel Klang und lyrische Dichte abgerungen wie Flaubert in seinem Erstlingswerk. Und wofür all die Mühe? Um bei dem banalen Stoff einer Ehebruchsgeschichte mit sprachlicher Schönheit und modernsten Erzähltechniken die Dummheit der Gesellschaft zu entlarven. Übersetzer stellt Flauberts Stil deshalb vor außergewöhnliche Schwierigkeiten, und nicht von ungefähr liegt der Roman im Deutschen in 27 Versionen vor. Die 28. erschien vor kurzem in der Klassiker-Reihe des Hanser-Verlags, stammt von Elisabeth Edl und unterscheidet sich in ihrer Akribie von all ihren Vorläufern. Zum einen, weil sie die französische Reihenfolge der Wörter im deutschen Satzbau dort beibehält, wo Inhalt und Satzrhythmik dies erfordern, zum anderen, weil sie viel Gewicht auf die verschiedenen Sprachebenen legt, um die von Flaubert intendierte Figurenperspektive korrekt wiedergeben zu können. Besonders überzeugend wirkt zudem, dass Wortspiele mit ihren Doppeldeutigkeiten beim Übertragen ins Deutsche nicht verlorengehen. Nun war dem Rezensenten die gut zu lesende, bei Manesse und Rowohlt jahrzehntelang vorliegende Übertragung Hans Reisigers vertraut. Dort heißt es zum Beispiel: Der frisch verheiratete Charles "ritt spornstreichs zurück" zu den seidigen Unterröcken seiner Frau. Eine veraltete Formulierung, die aber gut zum Galopp nach Hause zu passen schien. Doch sie erweist sich als geglättet. Edl formuliert jetzt dagegen ziemlich unpathetisch: "Er kehrte schnell heim". Eine Überprüfung im französischen Original bestätigt die Textnähe der neuen Übersetzung – so einfach hatte sich Flaubert hier tatsächlich ausgedrückt. Die realistische Schilderung eines Ehebruchs ohne moralisierende Kommentierung provozierte einen Skandal, der Autor landete vor Gericht. Erstmals können wir in einer deutschen Ausgabe den Prozessverlauf bis zum Freispruch Flauberts verfolgen. Die Poesie des Ehebruchs und einige laszive Schilderungen hatten den Staatsanwalt auf den Plan gerufen. In seinem Plädoyer klagte er den Schöpfer Madame Bovarys wegen Verletzung der öffentlichen und religiösen Moral an. Flaubert hatte auf eigene Kosten alles mitstenographieren lassen. Damit wollte er über seinen Roman hinaus die Dummheit der Gesellschaft dokumentieren. In dem 65-seitigen Nachwort der Übersetzerin erfährt man viel über die Entstehung, Bedeutung und Rezeption dieses Ausnahme-Romans. Allerdings unterlaufen Elisabeth Edl ein paar Unstimmigkeiten. Sie zitiert den damaligen Großkritiker Sainte-Beuve: Als "Sohn und Bruder bedeutender Ärzte hält Monsieur Flaubert die Feder wie ein Skalpell." Dieser berühmte Vergleich verfolgte Flaubert sein weiteres Leben. Obwohl die Übersetzerin an späterer Stelle einen begeisterten Brief einer Flaubert-Leserin zitiert, fällt ihr nicht der bemerkenswerte Umstand auf, dass diese schon ein halbes Jahr vor dem Literaturkritiker den nämlichen Vergleich verwendete: "Ach! Monsieur, wo haben Sie diese vollkommene Kenntnis der menschlichen Natur bloß hergenommen, das ist ein ans Herz, an die Seele angesetztes Skalpell." Willkommen sind dafür die zahlreichen Anmerkungen mit Worterklärungen und die Verweise auf Briefe Flauberts, in denen er Freunden einzelne Romanszenen kommentiert. Historisch hochinteressant sind auch die Anführungen aller Streichungen, welche die Herausgeber der Zeitschrift Revue de Paris bei der Erstveröffentlichung des Romans vornahmen. Leider sind Flauberts eigene Manuskript-Kürzungen nur gelegentlich in den Anmerkungen erwähnt, anstatt die wichtigsten, darunter einige Juwelen, gesondert in diese Ausgabe mit aufzunehmen, wie dies bereits 2001 in der Bovary-Übersetzung des Haffmans-Verlags erfolgt war. Trotz dieser Kritik muss man dem Hanser-Verlag dankbar sein. Wer Flaubert als Sprachkünstler erleben will, kommt an dieser Übersetzung nicht vorbei.
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