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Walter E. Richartz

 
Rezensionen

Walter E. Richartz: Büroroman
 

Noch eine Stunde bis Feierabend
Katharina Bendixen

Wenn in hundert Jahren die Lohnarbeit abgeschafft ist, verwendet man in Geschichtsstunden zum Thema Angestelltendasein am besten den Büroroman von Walter E. Richartz. Bereits Mitte der siebziger Jahre erschienen, hat das nun neu aufgelegte, weitgehende plotlose Buch über die Tristesse der Büroarbeit nach wie vor Gültigkeit - und wird sie wohl auch behalten, solange Menschen sich für Nahrung und Miete jeden Morgen an unpersönliche Orte begeben müssen.
"Seit Jahrzehnten verschiebt sich das Verhältnis der Güterproduktion zur Verwaltung zugunsten der letzteren. Die Fabrikhallen leeren sich, die Büros füllen sich", stellt Richartz fest. Die Maschinenhaftigkeit, die Unmenschlichkeit findet sich aber nicht nur an den Fließbändern, sondern vor allem an den Schreibtischen, auf den Gängen, in den Kantinen, kurz: zwischen den Menschen. Zum Beispiel in Frankfurt/ Main in der Firma Dramag, in deren Bürogebäude 620 Angestellte arbeiten, ein "Gesamt- Sitzgewicht von über fünfzig Tonnen". Richartz seziert mit neugierigem, hämischem Blick den dortigen Büroalltag und stellt ihn als etwas Unerträgliches dar. Nicht einmal den Stuhlgang nach dem Kantinenessen lässt Richartz in seiner wütenden Suada aus.
Der Leser wird in eine Ecke des Zimmers 1028, Abteilung Rechnungswesen versetzt, in dem der pflichtbewusste Herr Kuhlwein, die ordinäre Frau Klatt und das schöne Fräulein Mauler Formulare ausfüllen, Zwischenzahlen notieren, übereinander lästern. Genüsslich gibt Richartz seine schablonenhaften Protagonisten der Lächerlichkeit preis. Poetisch-zärtliche Passagen mischen sich mit einer genauen Untersuchung der typischen Bürosprache, die ausschließlich aus Plattitüden besteht: "Man wird doch wohl noch mal lachen dürfen!", tönt Frau Klatt, "was die sich so denken", fragt sie sich. Selbst nahezu unhörbare Bürogeräusche werden beschrieben: Fräulein Mauler feilt sich die Nägel, Frau Klatt radiert, Herr Kuhlwein schält und isst eine Apfelsine.
Die Konsequenzen der sinnentleerten Tätigkeiten, die Richartz' Protagonisten Tag für Tag ausführen, sind ebenso einfach wie traurig: Die drei Angestellten warten nur noch auf den Feierabend und den nächsten anzüglichen Witz des Herrn Maier von nebenan. Ein Hinterfragen der Arbeit oder des Lebens überhaupt findet nicht statt. Einzig das schöne Fräulein Mauler, erst seit drei Monaten in der Firma beschäftigt, erkundigt sich eines Tages, welche Produkte die Firma überhaupt produziert. Frau Klatt erwidert scharf: "Zu was wollen Sie das denn wissen?" Dann zündet sie sich gelangweilt eine Zigarette an und schaut auf die Uhr: Noch eine Stunde bis Feierabend.

 

Walter E. Richartz: Büroroman. 274 Seiten. Diogenes Taschenbuch. Zürich 2007 (Erstausgabe ebenda 1976). € 9,90.