Der Damm zur Ewigkeit
Volker Strebel
Eine "Tschechische Bibliothek" ohne
Bohumil Hrabal ist kaum vorstellbar. Doch welche Texte wählen?
Die Herausgeber der verdienstvollen Reihe entschieden sich schließlich
für die Erzählung Allzu laute Einsamkeit, die
Hrabal selbst als einen seiner besten Texte empfunden hatte. Die
Handlung dieser Geschichte betrifft eine Phase in der Biographie
des Autors, in der sein Lebens-Text sich mit seinem Kunst-Text
zu verschmelzen scheint, denn von 1954 bis 1958 arbeitete Hrabal,
wie die Hauptfigur seiner Erzählung, in einer Rohstoff-Sammelstelle.
Der Typus manch anderer Hrabal-Protagonisten ist mit dem Papierpacker
kongenial getroffen. Ein marginalisierter Außenseiter, philosophischer
Autodidakt, der sich der tagtäglichen Betriebsamkeit am liebsten
untertage entzieht und sich seinen Gedanken hingibt. Kommen die
unvermeidlichen Kannen frisch gezapften Bieres hinzu, entspinnt
sich ein mitunter verworrener, aber faszinierender Monolog bizarrer
Einsamkeit. Von bunt gekleideten Zigeunerinnen wird der einsame
Papierpresser in seinem Keller ebenso heimgesucht wie von Jesus
Christus oder dem Philosophen Laotse.
Scharen von farbigen Fleischfliegen umschwirren die gepressten
Papierstapel, wenn Altpapier einer Metzgerei nach unten gekippt
wurde. Die vom Regime eingestampften Bücher packt der schrullige
Sonderling liebevoll dazwischen und stattet jedes Papierbündel
nach eigenem sportlichem Antrieb mit farbigen Drucken aus. Van
Gogh, Rembrandt, Hals, Monet, Cézanne - der Packer verfügt
über genügend Reproduktionen.
Den Leser spricht der Text unmittelbar an. Kaum hat man mit der
Lektüre begonnen, entfaltet sich unweigerlich jener für
Hrabal so typische Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Ein
Feuerwerk an Bildern, Gesten, Sprüchen, Anekdoten und Gerüchen
steckt in diesem Geplauder, ein einmal begonnenes Palaver zieht
sich bis zum letzten Absatz, zur letzten Zeile durch.
Hrabals poetische Methode ist scheinbar einfach. Er beobachtet
ohne inneren Zensor. Die Wahrnehmung ist unverstellt und hat sich
einen fast kindlichen Blick auf die Umgebung bewahrt. Im ebenfalls
abgedruckten "Adagio lamentoso" ist diese Hrabalsche
Wahrnehmungstechnik in geraffter Form nachzulesen. "Einmal
sahen wir im heftigen Regenguss auf einem / großen / Stein
zwei Schnecken sich lieben, / ihre nassen Leiber waren miteinander
verschmolzen / wie zwei Butterbrotscheiben. / Jetzt gehe ich durch
eine lichtlose Nacht / und orientiere mich nur an einem sternlosen
Stück des / Himmels, gehe immerzu auf die spitz / zusammenlaufenden
/ Kiefernwipfel zu, und je tiefer ich in den tiefen Wald / gerate,
desto genauer weiß ich, dass ich deinen / gespreizten Beinen
näher bin und mein Traum, / in deinen / Schoß zu dringen,
sich nun bald erfüllen wird."
Verblüfft stellt man fest, dass sich Hrabal nicht viel ausdenkt
und noch weniger konstruiert. Er sieht, nimmt wahr und schreibt
auf. Und da jeder Augenblick mit vielen Bildern und Möglichkeiten
vollgestopft ist, entfaltet sich in Hrabals Texten eine Vielzahl
von Wahrnehmungen und Mitteilungen. Und mit einem Mal versteht
man den Packer Hanta im Keller, der jenseits von Prüderie
und schriller Provokation feststellt: "Ich trinke diese Unmengen
Bier nur, um besser vorauszublicken, denn in jedem Paket begrabe
ich eine wertvolle Reliquie, einen offenen Kindersarg, bestreut
mit welken Blumen, Lametta und Engelshaar". Und schließlich
seien die Bücher genauso überraschend im Keller gelandet
wie er selbst...
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