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Rowohlt
Andreas Münzner

 
Rezensionen

Andreas Münzner: Die Höhe der Alpen
 

Schrecken der Jugend
Martin Brinkmann

Die Höhe der Alpen, der erste Roman des 1967 geborenen, bei Zürich aufgewachsenen und in Hamburg lebenden Andreas Münzner, ist vor allem eine Abrechnung mit dem Vater, dem Inbegriff des spießigen, ordnungsliebenden, bildungsbürgerlichen "Familienoberhaupts". Keine Geschichte im eigentlichen Sinn erwartet den Leser; das Buch präsentiert vielmehr kleine Kapitel aus einer bedrängenden, peinvollen Jugend. Die Freuden der Jugend hat Denton Welch (1915-1948) seinen bekanntesten Roman betitelt. Dieser schöne, ironische Titel hätte auch gut zu Münzners Debüt gepasst. Neben der genauen Sprache ist es vor allem die Eigensinnigkeit seiner Erzählerfigur, die den gebürtigen Schweizer in die Nähe des jung verstorbenen Engländers rückt.
Münzner beschreibt eine Kindheit, bestehend aus Reinigungsritualen und Sparsamkeit. In ihr gibt es für alles Regeln. Da ist zum Beispiel das sogenannte Waschbecken-Reglement, das für eine köstlich unappetitliche Groteske verantwortlich zeichnet. Um den Schuldigen des Fleckes auf der Brille festzustellen, umsteht die ganze Familie minutenlang das Klo. Ohne die nachträglich beigegebenen Ironisierungen, die dem Alter des kindlich-jugendlichen Ich-Erzählers eigentlich nicht gemäß sind, wären die angeblich frei erfundenen, hochnotpeinlichen Wochenendbeschäftigungen der "modernen Kleinfamilie" für den Autor des Buches wohl nicht auszuhalten gewesen.
Das strenge Regiment des Vaters macht auch vor dem Ferienidyll in den Alpen nicht halt. Die aufgestellten Regeln für Terrasse, Badezimmer, gemeinsame Mahlzeiten, Ausgehverhalten und so fort gilt es genauestens einzuhalten. Münzner beschreibt diese von Ganzkörperpyjamas verleidete Jugend ausgiebig. Die miefige Atmosphäre der bürgerlichen Kleinfamilie, in der man abends in die "Flohkiste" geschickt wird und in der sogar die Freunde der Kinder auf ihre soziale Brauchbarkeit hin überprüft werden, vermittelt er in sich langsam entfaltenden Kapiteln, die auch als eigenständige Prosastücke bestehen könnten. Nicht weil ihr Zusammenhang lose wäre, sondern weil jedes für sich ein kleines Kunstwerk darstellt. Herauszuheben ist besonders die Fahrradtour durchs Gebirge: Zu Beginn eine harmlose, radelnde Männerrunde, steigert sie sich zu einem veritablen Vater-und-Sohn-Wettrennen.
In der zwangsläufigen Isolation von seinen gleichaltrigen Kameraden entwickelt der Ich-Erzähler nicht nur eine altkluge Sophistik, mit der er sich auf aussichtslose Diskussionen mit dem Vater einlässt, er gewöhnt sich zudem einen ungesunden und skurrilen Hochmut an: "Der Blick muss sich weiten, auf endlose Wasserflächen, auf Höheres. Ich sage mir: Jetzt muss ich nur noch herausfinden, was mit diesem Höheren gemeint ist. Solange ich das Höhere noch nicht gefunden habe, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach eben noch höher liegen, und wenn ich immer höher steige, werde ich es irgendwann schon antreffen. Und dann werde ich mich vielleicht ein bisschen ausruhen, dort oben."
Andreas Münzner darf sich vorerst einmal ausruhen. Für sein Debüt erhielt er den Nachwuchsförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung. Weitere Preise werden mit Sicherheit folgen. Wir dürfen einen neuen Leistungsträger der jungen deutschen Literatur begrüßen.

 

Andreas Münzner: Die Höhe der Alpen. Roman. 232 Seiten. Rowohlt. Reinbek 2002. € 17,90.