Aus Ernst wurde Heiter
Gunnar Kaiser
"Millionenraub im Kölner Dom"
- so titelte der Kölner Stadt-Anzeiger am 3. November 1975,
nachdem bekannt geworden war, daß in der Nacht nach Allerheiligen
- ausgerechnet - zwei Männer in Bergsteiger-Ausrüstung
in die Schatzkammer des Doms eingebrochen waren und dort Juwelen
und Sakralgegenstände im Wert von 10-15 Millionen Mark entwendet
hatten. Mithilfe einer Strickleiter waren die beiden über
den sechs Meter hohen Bauzaun geklettert und hatten sich an Gerüsten
entlanggehangelt, um durch einen Lüftungsschacht in die Domschatzkammer
einzudringen. Diese, in der auch die Gebeine der Heiligen Drei
Könige in einem goldenen Schrein aufbewahrt wurden, galt
für die damalige Zeit als optimal gesichert. Alarmanlagen,
verriegelte Türen, ein Wächter im Nebenraum - eigentlich
ein zu großes Risiko für Einbrecher. Doch es war den
beiden gelungen, die Alarmanlage zu umgehen und unentdeckt mit
der in ihre Einzelteile zerlegten Beute zu entkommen.
Den "größten Kirchenraub in Köln seit der
französischen Besatzungszeit vor fast 200 Jahren" hat
der auf Jamaika lebende Schriftsteller Peter-Paul Zahl nun zur
Vorlage seines neuen Romans genommen: Der Domraub. - "Dejtsche
Sprak komische Sprak", so der Ich-Erzähler Vladimir
Heiter, "wie kann man einen Dom rauben? ,Nehmen Sie die Pfoten
hoch, Kardinal Frings, äh, Höffner, und keine Bewegung!'"
Heiter, ein Ganove mit Klassenbewußtsein und kunsthistorischen
Ambitionen, erzählt in fünf Büchern, deren überladene
Kapitelüberschriften an barocke Vorbilder erinnern sollen,
von seinem ereignisreichen Leben, das als Partisan im Belgrad
der Nachkriegszeit beginnt und vorerst im Gefängnis endet,
wo er als vermeintlicher Domschatzräuber seine Erinnerungen
niederschreibt. Früh schon lernt er, worauf es im Leben ankommt,
und wird nicht müde, es dem Leser mitzuteilen: gute Liebe
und gutes Essen. Er beschließt, dem "Gehorsam keine
Chance zu geben" und sich gegen "Die Da Oben" aufzulehnen,
wird wegen Diebstahls von Lebensmittelmarken in einem Gefängnis
des titoistischen Jugoslawien gefoltert und wandert nach Deutschland
aus. In Köln angekommen, wird er der Hehlerei von "Gegenständen,
die der religiösen Verehrung dienen", überführt
und so kommt es schließlich, daß am Tag nach dem Domraub
die Polizei bei ihm auftaucht und ihn mitsamt den richtigen Dieben
festnimmt. Während die Kölner Unterwelt noch versichert,
"kölsche Jongs don sowas nit. Dat müsse Düsseldorfer
oder Kanaken sin", versucht Heiter den Verdacht von sich
abzulenken und die Beute der Staatsanwaltschaft wiederzubeschaffen.
Diese ist jedoch längst, zur Bestürzung des kunstliebenden
Heiter, zerstört und ihres sakralen Wertes beraubt ...
Peter-Paul Zahl, der 1944 in Freiburg/Breisgau geboren wurde und
einige Jahre im Rheinland lebte, greift für seinen Roman
tief in den Schatz persönlicher Erfahrungen. In der Strafvollzugsanstalt,
in der er in den siebziger Jahren inhaftiert war, hat er vom vermeintlichen
Domschatzräuber Ljubomir Ernst, dem Vorbild für Vladimir
Heiter, die "wahre Geschichte" erzählt bekommen
und sie mit einer Spur poetischer Verfremdung zu einem politsatirischen
Köln-Krimi verwoben.
Hatte Zahl in seinem zweiten Roman Die Glücklichen,
für den er 1980 den Literaturförderpreis der Freien
Hansestadt Bremen erhielt, noch auf Collageverfahren und wechselnde
Erzählperspektiven zurückgegriffen, um den "Traum
von der alternativen nachbürgerlichen Existenz" (Sigrid
Löffler) der 68er zu träumen und den Kampf gegen die
herrschende Arbeitsmoral mit literarischen Mitteln aufzunehmen,
so erzählt er hier in konventionellerer Manier von Leben
und Meinung des Vladimir Heiter, "Freiheitstriebtäter".
Dessen in lebendigem Ton und sinnenfrohen Bildern vorgetragene
Bekenntnisse schildern auf sympathische Weise die Verwicklungen,
in die er während seiner Lebensreise gerät.
Wie schon Die Glücklichen ist auch Der Domraub
mit "Ein Schelmenroman" untertitelt - für all jene
nämlich, die bei der Lektüre nicht merken, daß
es hier wieder einmal um den ewigen Kampf des Kleinen Mannes gegen
"Die Da Oben" geht. Dabei wäre das gar nicht nötig
gewesen, ist dem Autor doch mit seinem Erzähler eine überzeugende
Umsetzung der Picaro-Figur in die jüngere deutsche Vergangenheit
gelungen. Heiter ist, ohne wie ein Abziehbild zu wirken, mit allen
Zügen des wahren Schelms ausgestattet, wie er seit seinen
spanischen Anfängen durch die Literaturgeschichte geistert:
Als Außenseiter mit krimineller Veranlagung sieht er aus
der Froschperspektive auf eine Gesellschaft, zu deren unfreiwilligem
Spiegel er wird. Daß die anderen Figuren neben ihm wie Puppen
aus dem Hänneschen-Theater wirken, mag man da mit der ich-verliebten
Attitüde des ohne Reue zurückblickenden Bekenners begründen.
Die wahren Schurken sind im Roman aber nicht die kleinen Berufsverbrecher,
sondern diejenigen, die aus eigener Unfähigkeit und Voreingenommenheit
den Schelm, einen Ausländer, zum Sündenbock machen.
Die Rolle des Schelms, so leichtfüßig sie Sprachgestus
und Gefüge des Romans zu tragen vermag, birgt aber auch gewisse
Gefahren. Manchmal hängt der Mantel politisch-gesellschaftlicher
Abrechnung etwas zu locker um den spannend geschriebenen plot
herum und kommt, wie auch die literarischen Reminiszenzen an Grimmelshausen
oder Thomas Mann, eher als Zugeständnis an die Tradition
des Schelmenromans daher. Aber so unoriginell Heiters Gesellschaftsanalysen,
so unspektakulär sein unziviler Ungehorsam gegenüber
den Mächtigen und so undifferenziert seine politischen Ansichten,
die sich in pubertären Wortspielereien erschöpfen (aus
"Demokratie" wird "Dämonokratie", aus
"Strafgesetzbuch" wird "Schafsgekrächzfluch"),
auch sind, fügt sich dies alles doch konsequent in die pikareske
Naivität des Helden. Gemäß dem Prozeß, der
aus dem Ernst der Wirklichkeit einen Heiter der Fiktion macht,
gestaltet sich in Zahls Roman, anders als in seinen frühen
Werken, mögliche Brisanz zu tatsächlicher Irrelevanz.
Die notwendige Simplifizierung führt zur Unterminierung jeglichen
gesellschaftskritischen Hintersinns. Zu selbstverständlich
bedient sich Zahl in Der Domraub tradierter Literaturformen,
bemüht sich aber nicht, sie infrage zu stellen oder ihre
Sichtgrenzen zu erweitern. Das führt dazu, daß der
Roman eines Autors, der sein Schreiben einst als Bestandteil politischer
Praxis zu betrachten pflegte, sich im heiteren Gewand des Simplicissimus
kritisch gibt, ohne ernsthaft kritisch zu sein.
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