Ein neuer Serienheld kommt aus Schweden zu uns. Mit großem Tamtam annonciert Rowohlt die "Fälle des Sebastian Bergman", die es demnächst auch im deutschen TV zu sehen geben soll. Momentan liegt allerdings nur das Krimidebüt des Autorenduos Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt in Form eines etliche hundert Seiten starken Schmökers vor. Der Mann, der kein Mörder war ist zunächst einmal ein solider Polizeiroman, dessen clever konstruierter Plot bis zur letzten Seite für Spannung sorgt - unter wohltuendem Verzicht auf die sattsam bekannten Handlungsmuster nordischen Krimischaffens. Kein Serienkiller, keine Rache für lange zurückliegende Missetaten, keine sinistre Bande verwöhnter Oberschichtbengel, die zum Vergnügen Jagd auf Menschen machen. Stattdessen rückt die Mühsal polizeilicher Aufklärungsarbeit in den Fokus. Als die grausam zugerichtete Leiche des sechzehnjährigen Roger Eriksson gefunden wird, führen die Nachforschungen recht schnell zu seiner Schule, wo so manches nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint. Doch dann häufen sich Rückschläge und falsche Fährten. Und es geschehen weitere Morde.
Routiniers des Polizeiromans wie Ed McBain oder seine schwedischen Adepten Maj Sjöwall und Per Wahllöö hätten aus diesem Stoff einen straff erzählten 300-Seiter gemacht. Dass Hjorth und Rosenfeldt den doppelten Umfang benötigen, liegt weniger an mangelnder Erzählökonomie als an besagtem Sebastian Bergman, dessen komplizierte Persönlichkeit gebührend gewürdigt werden muss. Der genialische Polizeipsychologe scheint es schon immer verstanden zu haben, sich seiner Umgebung von der schlechtesten Seite zu zeigen, doch seit Frau und Tochter bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen sind, gefällt er sich noch mehr in der Rolle des Widerlings – es sei denn, er hat es gerade darauf abgesehen, eine attraktive Frau ins Bett zu kriegen. Da merkt man, wie angestrengt die beiden bislang hauptsächlich für das Fernsehen tätigen Autoren über eine originelle Ermittlerfigur nachgedacht haben müssen. Dass sie sich schließlich an dem Erfolgsmodell des misanthropischen TV-Mediziners Dr. House orientiert haben, darf man ihnen nicht verübeln.
Eine beschädigte Persönlichkeit wird man auch dem Wiener Kriminalisten Johannes Schäfer bescheinigen. An seinem letzten Fall ist er beinahe irre geworden, doch nun ermittelt der Polizeimajor, gestärkt durch eine tägliche Dosis Psychopharmaka, wieder. Ein ehemaliger Nationalrat ist auf bizarre Weise ermordet worden. Einen Grund, dem Mann, der nicht zu Unrecht im Ruf eines unbelehrbaren Nazis stand, Böses zu wünschen, hatten viele. Für Verwirrung sorgt allerdings das Ergebnis der DNA-Analyse, denn der mutmaßliche Täter lebt nicht mehr. Aber Schäfer, von unkontrollierbaren Wutausbrüchen geplagt und durch zwei weitere Fälle belastet, ermittelt hartnäckig weiter. Schon bald muss er sich nicht nur mit medizinischen Experimenten an Kindern während der Nazizeit beschäftigen, sondern auch mit den Fortschritten der modernen Gehirnforschung, um letztendlich an der Frage, ob es einen freien Willen gibt, fast zu verzweifeln. Georg Haderers dritter Kriminalroman Der bessere Mensch zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass ein philosophisches Traktat manchmal auch im Gewand der Spannungsliteratur daherkommen kann.
Politische Aufklärung hingegen betreibt Horst Eckert in seinem neuen Thriller Schwarzer Schwan, der sich mit den Mitteln der klassischen Kolportage der Finanzkrise widmet. Virtuos verwickelt er ein Ensemble einschlägiger Figuren – vom an Selbstzweifeln leidenden, aber letztlich doch korrumpierbaren Politiker über den skrupellosen Finanzhai und die ehrgeizige Investmentbankerin bis zum zunächst ahnungslosen Ermittler – in eine furiose und erschreckend wirklichkeitsnahe Handlung. Angereichert wird der Wirtschaftskrimi durch eine Mord- und Entführungsgeschichte, wie sie sich die Angestellten der Romanfabriken des 19. Jahrhunderts nicht besser hätten ausdenken können. Die Erzählrezepte des kapitalistischen Realismus funktionieren eben noch immer tadellos und sorgen für eine ebenso süffige wie kurzweilige Lektüre.
An der Restaurierung eines in die Jahre gekommenen Genres versucht sich seit langem Walter Mosley. Und das mit beachtlichem Erfolg. Seine im Los Angeles der vierziger bis sechziger Jahre angesiedelten Kriminalromane um den taffen schwarzen Privatdetektiv Easy Rawlins können sich nicht nur prominenter Fans wie Bill Clinton rühmen, sondern boten auch die Vorlage für einige bemerkenswerte Spielfilme. Mit seiner neuen Reihe, deren erster Band – drei sind bereits in den USA erschienen – jetzt übersetzt vorliegt, hat Mosley die historischen Settings hinter sich gelassen. Leonid McGill, Sohn eines kommunistischen Gewerkschafters (daher der ungewöhnliche Vorname), ist 53 Jahre alt, war mal Boxer und hat seine Dienste als Privatschnüffler lange Zeit dem organisierten Verbrechen zur Verfügung gestellt. Jetzt möchte er sauber bleiben, doch das ist nicht so einfach. Als frühere Mitglieder einer Jugendbande, deren Verbleib er für einen anonymen Auftraggeber ermittelt hat, ermordet werden, weiß er, dass sein neues Leben ganz eigene Probleme mit sich bringt. Von Gewissensnöten geplagt, beginnt er mit Nachforschungen auf eigene Faust. Dabei erweisen sich seine guten Kontakte ins Halbweltmilieu als ausgesprochen nützlich. Weitere Unterstützung bekommt McGill von einem skurrilen Computer-Genie, einer inzwischen schon klassischen Figur, ohne die heute kaum ein Kriminalroman mehr auszukommen scheint. Dass der Ex-Boxer zudem über die Fähigkeiten verfügt, sich auch körperlich Respekt zu verschaffen, versteht sich von selbst.
So sieht er also aus, der hartgesottene private Ermittler des 21. Jahrhunderts. Er hat ein komplizierteres Privatleben als seine klassischen Vorbilder und verfügt über die bessere Technologie, bleibt aber im Grunde derselbe raue Bursche mit dem Herz auf dem rechten Fleck, als den wir ihn schon immer geschätzt haben. Und wenn ihn ein Könner wie Walter Mosley von seinen Abenteuern erzählen lässt, ist das Vergnügen ganz auf unserer Seite.
Von den wenigen Romanhelden, die sich auf der anderen Seite des Gesetzes tummeln, ist uns der fidele, aber vom Pech verfolgte Einbruchsprofi Dortmunder der liebste und sein finsterer Zwilling Parker der unheimlichste. Geschaffen hat die beiden der große Donald E. Westlake, der sich für die Parker-Reihe eines seiner zahlreichen Pseudonyme bediente. Während Dortmunder (trotz seines von der Dortmunder Actienbrauerei inspirierten Namens) hierzulande noch auf den großen Durchbruch warten muss, genießt der skrupellose Parker bei Kritik und Publikum längst hohes Ansehen. Zu Recht. Literatur, die so konsequent unser moralisches Koordinatensystem unterminiert wie die in brutaler Lakonie präsentierten Taten dieses eiskalten Gangsters, findet sich nicht so häufig. Inzwischen liegt auch jenes Buch übersetzt vor, mit dem sich Parker nach fast einem Vierteljahrhundert Pause 1997 zurückmeldete. Im Original passend Comeback betitelt, pflegt die deutsche Fassung des Schurkenspiels die Kunst des Stabreims: Verbrechen ist Vertrauenssache. Hoffen wir, dass der Zsolnay-Verlag hier nicht Schluss macht, sondern sich auch der vergriffenen frühen Auftritte Parkers, einst im Taschenbuch bei Ullstein, annimmt. Das wäre ein schönes Beispiel für die im Genre leider eher unübliche Klassikerpflege. |