Am Erker 55

Sophie Andresky: Das Lächeln der Pauline

Sophie Andresky: In der Höhle der Löwin

Sophie Andresky: feucht

Sophie Andresky: tiefer

Sophie Andresky: Honigmund

Sophie Andresky: Echte Männer

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Sophie Andresky

 
Sophie Andresky

Am Erker Nr. 55, Münster, Juni 2008
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"Das Phänomen des eiskalten Händchens"

Die 1973 geborene Sophie Andresky hat sich als Autorin erotischer Kurz­geschich­ten einen Namen gemacht. Auf ihr erstes Buch Das Lächeln der Pauline (1997) folgten In der Höhle der Löwin (1998), feucht (2000), tiefer (2003) und Honig­mund (2005). In diesen Tagen sind ihre Kolum­nen für das Männer­magazin Penthouse unter dem Titel Echte Männer. Was Frauen wirklich wollen im Haff­mans Verlag bei Zwei­tausend­eins erschienen.
Am-Erker-Chef­kritiker Fritz Müller-Zech traf die Expertin für geheime Lüste in einem Bistro im Berliner Ost­bahnhof.

 

Am Erker: Liebe Frau Andresky, stellen Sie sich doch einmal vor, ich wäre eine Figur in einer Ihrer Erzählungen. Was hätte mir in diesem Falle auf der Zugfahrt vom Ruhrgebiet in die Hauptstadt alles passieren können?

Andresky: Sie sitzen da alleine in Ihrem Sechserabteil und reiben sich einen Kaffeefleck aus Ihrem hornhautfarbenen Seidenblouson. Plötzlich drängelt sich eine Gruppe kichernder, singender Cheerleader mit kurzen Röckchen und bunten raschelnden Puscheln zur Tür herein. Ungefähr zehn schwitzende, plappernde, lachende Mädchen. Überall nur noch heruntergerutschte Söckchen, nackte Oberschenkel, blitzende Slips, bunte Nickipullover und Zöpfe mit Schleifen. Sie selbst krallen sich an Ihrem Modellbau-Magazin fest, aber die Mädels kennen kein Erbarmen. Junge Mädchen, schöne jedenfalls, sind gnadenlos. Die rutschen also auf den Polstern herum, summen, lutschen Lollis, kitzeln sich und krümmen sich vor Lachen. Die Mädchen, wie gesagt, sind Nattern, die kommen direkt aus der Hölle. Sie fangen an, Sie anzugaffen, sie räkeln sich, sie lüften die Röckchen und legen ihre Füße auf die Armlehnen. Eine Ältere, die schon richtige Brüste hat, bietet Ihnen an, dass Sie sich zwei aussuchen dürfen: Eine wird ihren Baumwollschlüpfer ausziehen und Sie sehen lassen, was immer Sie wollen, und die andere wird Ihnen zur Hand gehen. Der Preis ist auch relativ günstig, nur ein bisschen Taschengeld für die Feier am Abend mit dem Footballteam. Sie überlegen noch, ob das Angebot wirklich ernst gemeint ist oder ob Sie veralbert werden. Und gerade in dem Moment kommt der Schaffner und nimmt die Mädchen mit, weil sie an der nächsten Station raus müssen - und er beschimpft Sie als Lustgreis.

Am Erker: Ähem, sehr interessant. In Wirklichkeit saß ich mehrere Stunden in einem Großraumwagen und las in der neuen Ausgabe des linksintellektuellen Popkulturmagazins testcard, die, wie es der Zufall so will, dem Thema 'Sex' gewidmet ist. Ich zitiere mal: "Und es ging auch nicht so sehr um das Konzept Sexualität, sondern um Sex, Geilheit und ums Ficken. Das heißt, es ging um Alltagspraktiken, in denen nicht weniger als die Befreiung von den gesellschaftlichen Zwängen verhandelt wurde." Die Rede ist von der linksradikalen Zeitschrift agit 883, die zwischen 1969 und 1972 in Westberlin erschien. Lösen Sie in Ihren Geschichten ein, was revolutionären jungen Menschen Ende der sechziger Jahre vorschwebte?

Andresky: Es geht eigentlich immer "um Sex, Geilheit und ums Ficken". Egal zu welcher Zeit, an welchem Ort oder mit welcher Propaganda verkleistert. Und ich finde das durchaus politisch. Denn es ist doch so: Ein Mensch, der sexuell ausgelastet ist, hat gar nicht das Aggressionspotenzial, um irgendwelchen Mist zu machen. So hat es doch Ihre Generation schon formuliert: Make love, not war.

Am Erker: Ich habe ja eher den Eindruck, dass die Linken seit den späten Siebzigern eher ein bisschen prüde waren. Ich erinnere mich an einen Journalisten, der sich traute, unter dem denkwürdigen Pseudonym Gernot Geiler in der taz über seine Besuche in Pornokinos zu berichten. Da gab es mächtig Empörung. Und ich selbst habe vor vielen Jahren meinen ersten Artikel für ein sozialistisches Studentenmagazin über die Anti-Porno-Kampagne der Zeitschrift Emma geschrieben.

Andresky: Also der Emma, und da darf ich mal Frau Schwarzer persönlich bemühen, ging es in diesen Kampagnen nicht um Sex, sondern um Gewalt und Erniedrigung. Das kann man gar nicht oft genug sagen: Sex an sich ist nicht frauenfeindlich! Auch Pornografie nicht. Aber auf diesem Markt gibt es unglaublich krankes Zeugs, bei dem einem wirklich schlecht werden kann. Ich finde, man sollte mehr explizite Sexszenen im Fernsehen usw. freigeben und dafür den perversen Mist verbieten. Kein Mensch, auch kein Teenie, wird geschädigt durch den Anblick von Geschlechtsorganen. Aber Gewalt und Demütigung, das ist ekelhaft. Hey, ich glaube, ich bin eine Feministin! Was gibt es Emanzipatorischeres als fröhlich vögelnde Frauen? In anderen Punkten kann ich die Emmas dieser Welt aber nicht nachvollziehen. Ich kann z. B. keinen feministischen Mehrwert darin entdecken, wenn man unter den Achseln behaart ist wie ein Bison am Hinterteil. Das finde ich bei Frauen nicht emanzipiert und bei Männern nicht männlich, sondern bei beiden gleichermaßen unhygienisch.

Am Erker: Sie schreiben Texte, in denen unsere alltägliche Umgebung zur Kulisse für die Verwirklichung erotischer Fantasien wird. Wie viel Wirklichkeit verträgt diese Art von Literatur?

Andresky: Jede Menge. Erotik ist überall. Man muss sich nicht mit Keanu Reeves in den Satinbettlaken eines Nobelhotels tummeln. Guter Sex ist auch auf dem brandfleckigen Wohnzimmerteppich mit Werner aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis gut. Das große Geheimnis besteht meiner Meinung nach darin, das Prickeln im Alltag zu entdecken.

Am Erker: Das fällt mir in Oer-Erkenschwick, ehrlich gesagt, ziemlich schwer.

Andresky: Ach was, Sex ist nicht nur mondän, gestylt und schick. Sex ist auch kleinbürgerlich, spießig, unattraktiv und verschwitzt. Manchmal gehe ich durch Berlin und denke, all diese hässlichen Menschen, die haben alle Sex. Die erleben alle Orgasmen. Das finde ich großartig.

Am Erker: Ich finde es sowieso schwer, sexuelle Handlungen zu beschreiben, ohne dass es peinlich wird. Nehmen wir nur mal diese Passage aus einem viel gelobten aktuellen Roman: "Sie nahm es in die Hand, dass er in sie hineinrutschte, ihn führend, während sie das gespannte Gummi ihrer Unterhose beiseitezog, ein Scheuern an seinem Fleisch, ein schmatzender Ton, mit dem es geschah, und ein Innehalten, ein Zucken in ihrem Innern ..." Und so weiter. Geht es hier darum, ein mögliches Lustempfinden des Lesers, das über die Freude am hypotaktischen Satzbau hinausgeht, zu verhindern?

Andresky: Diese Passage ist so eine Art literarische kalte Dusche. Wer bitte macht da was mit wem? Diese Art von Literatur interessiert mich nicht. Erstens, finde ich, muss gute erotische Literatur witzig sein dürfen, und zweitens muss sie animierend sein. Hier hab ich gar kein Bild im Kopf, und nur weil da irgendwo ein "schmatzen" vorkam, wird mir persönlich noch nicht warm ums Herz.

Am Erker: Taugt denn ein Wort wie "Unterhose" überhaupt für erotische Literatur?

Andresky: Klar. Manchmal finde ich es gerade spannend, ein Wort zu verwenden, das sehr sachlich ist. Wenn Sie seitenlang Vulgärslang gelesen haben, kann es sehr sexy sein, wenn plötzlich ein betont sachliches Wort vorkommt. Das schockt einen in dem Moment. Und alles, was die Durchblutung fördert, macht die Stelle besser.

Am Erker: Pornografie, sagt der Literaturkritiker Alberto Manguel, stabilisiere die bestehenden lustfeindlichen Verhältnisse, während erotische Literatur sich durch ihre Subversivität auszeichne. Wie würden Sie die beiden Genres unterscheiden?

Andresky: Erotik ist für mich etwas, das verspricht, und Pornografie etwas, das einlöst. Ich weiß nicht, was Alberto Manguel genau mit lustfeindlichen Verhältnissen meint. Es stimmt sicherlich, dass die Pornografie oft Stereotype transportiert und sich die Erotik um mehr Innovation bemüht. Das sind aber alles Überlegungen, die meine Arbeit nur am Rande betreffen. Mir geht es darum, Lust zu machen, nicht subversiv zu sein - obwohl mir einmal die Teilnehmerin eines Workshops, auf dem eines meiner Bücher besprochen wurde, gesagt hat, ich sei ihr "zu emanzipiert". Kein Witz.

Am Erker: Könnten Sie einmal den Markt für Sexgeschichten beschreiben? Gibt es viel Konkurrenz?

Andresky: Der Erotikmarkt erlebt seit ein paar Jahren einen Boom. Als ich 1997 damit anfing, war das noch Wüste. Es gab die Klassiker wie Henry Miller und Anaïs Nin und einige therapeutische Betrachtungen aus dem Frauenbuchregal, in denen verklemmte Mädels offenbarten, dass auch sie einen Unterleib haben, als wäre das ein großes Geheimnis. Mittlerweile ist die Produktion fast unübersehbar. Auch die großen Verlage ziehen mit, weil sie gemerkt haben, Erotik lässt sich verkaufen. Allerdings ist das meiste, was es da zu lesen gibt, so dermaßen schlecht, dass es einem die Schuhe auszieht, und das meine ich nicht fußerotisch.

Am Erker: Interessant. Nach welchen Kriterien fällen Sie solche Urteile?

Andresky: Manche glauben anscheinend, dass man, wenn man nicht gut schreiben kann, immer noch zur Erotik taugt, so nach dem Motto: "Die Leser blättern sowieso nur von Stelle zu Stelle." Das sehe ich anders. Die Geschichten müssen funktionieren, überraschend und originell sein, die Charaktere müssen glaubhaft sein, die Sprache darf zumindest nicht stören. Wenn ich noch mal lesen muss, wie eine lustvoll bebende Lanze eine Frau mit Kaskaden von wallendem Haar beglückt, um dann in ihre Liebesblüte zu tauchen, schreie ich. Und die Sexszenen sollten nicht nur aus Stereotypen und Klischees bestehen. Ich hasse es, wenn uns überall erzählt wird, nur blutjunge wunderschöne Menschen hätten Sex. Das stimmt nicht. Alte Leute tun es, hässliche tun es, behinderte tun es. Und alle haben das Recht dazu. Einvernehmlicher Sex ist ein Grundrecht! Das ist mir wichtig. Vor allem aber muss erotische Literatur scharf machen. Ein erotisches Buch, das nicht scharf macht, ist kein erotisches Buch, auch wenn es auf jeder Seite Sex gibt. Da fällt mir zum Beispiel Irvine Welshs Porno ein, das Nachfolgebuch zu Trainspotting. Ein Dutzend Drogensüchtiger dreht einen Sexfilm. Das ist ein großartiges Buch, sehr intensiv und dicht - und komplett abtörnend, obwohl es ununterbrochen und auch sehr detailliert und explizit um Sex geht.

Am Erker: Was würden Sie denn als besonders gute erotische Stelle bewerten?

Andresky: Die beste Sexszene, die ich kenne, steht in Die Fermate von Nicholson Baker. Und zwar nicht wegen des Inhalts (dildobegeisterte Hausfrau verführt Teenagerpärchen im Tulpenbeet), da gibt es sogar Dinge, die ich ausgesprochen abtörnend finde, sondern wegen der Struktur. Diese Szene ist genau so geschrieben, wie sich erotische Fantasien im Kopf entwickeln. Es gibt einen Ausgangspunkt, der ein bisschen schockiert und kribbelig macht, dann steigert sich das Ganze, es folgt eine Ungeheuerlichkeit auf die andere. Würde man die Szene in der Mitte anfangen zu lesen, wäre sie völlig abstrus, aber Baker nimmt einen gut mit. Immer wenn man glaubt, jetzt kann es sich nicht mehr steigern, findet er noch eine weitere Wendung. Dazwischen gibt es kleine sprachliche oder inhaltliche Schocks, die wie ein Klaps oder ein Kniff wirken und die Erregung zwar ganz kurz unterbrechen, sie letztlich aber steigern. Auch Marquis de Sade schreibt, finde ich, gute Sexszenen, vor allem die Tableaus. Das ist übrigens die Paradedisziplin für Fortgeschrittene: Gruppensexszenen ab fünf Personen. Da gibt es das Phänomen des 'eiskalten Händchens', das passiert dann, wenn plötzlich ein Knie zu viel im Text ist oder einer der Beteiligten drei Hände hat. Bei so vielen Körperteilen kann man schon mal den Überblick verlieren. Deshalb ist es wichtig, dass beim Lektorieren immer jemand darauf achtet, ob nicht irgendwo ein eiskaltes Händchen herumgrabbelt.

Am Erker: Warum liest eigentlich überhaupt noch jemand erotische Texte? Im weltweiten Netz ist doch all das zu finden, wofür sich Interessierte früher ins Pornokino geschlichen haben.

Andresky: Ich glaube nicht, dass beides in einem direkten Konkurrenzverhältnis steht. Erstens können Sie ein Buch mit ins Bett nehmen, in die Wanne oder wo Sie sonst gerne allein mit sich sind. Zweitens wird beim Lesen im Vergleich zum Bild oder zum Video ein ganz anderer Teil des Gehirns angesprochen. Die eine Hälfte der erotischen Fantasie kommt von mir, weil ich sie schreibe. Die andere Hälfte ist aber Ihre eigene Sache, weil Sie es sich ausmalen. Das ist viel intensiver, als es wie bei einem Film nur zu konsumieren. Erotische Szenen im Kopf kann man auch nach eigenen Wünschen verändern, erweitern oder kürzen. Außerdem glaube ich, dass viele explizit auf Verbal-Erotik stehen - wie ich selbst übrigens. Die wollen die Worte haben. Was nicht heißt, dass ich einen guten Porno nicht auch genießen würde.

Am Erker: Könnten Sie sich Verfilmungen Ihrer Storys vorstellen? Das wären doch wahrscheinlich sogenannte harte Pornos, oder?

Andresky: Ach, davon träume ich ja in schlaflosen Nächten. Allein die Vorstellung, Honigmund zu verfilmen und meinen Harem zu casten, finde ich großartig. Und natürlich sollten das "harte Pornos" sein. Endlich eine Generation von Pornofilmen, in denen diese ganzen unsäglichen, lächerlichen Dinge nicht mehr vorkommen: z. B. Pumps im Bett, zum Platzen aufgeblasene Silikonbrüste, Schlauchbootlippen usw. Eine tolle Idee! Gut gelaunte Menschen, bei denen Sex nach Sex aussieht und nicht wie moderne Kunst. Ich sehe darin auch wirklich eine Marktlücke. Dass Frauen Filme nicht animierend finden, ist Quatsch. Die wollen nur nicht diesen schlecht gemachten Unsinn sehen. Es gibt in Amerika eine neue Bewegung, die 'Girls who like porn' heißt und die harte Pornos für Frauen produziert. Das ist doch mal ein Anfang.

Am Erker: Haben Sie eigentlich mehr Leser oder Leserinnen?

Andresky: Mehr Post bekomme ich von Männern, aber das heißt ja nichts. Männer berichten wohl nur einfach lieber von ihren sexuellen Erfahrungen. Und es tummeln sich immer noch mehr Männer im Netz als Frauen. Auf der anderen Seite lesen mehr Frauen als Männer. Und da Männer in meinen Geschichten auch einiges einstecken müssen, nehme ich mal fast an, dass es doch mehr Frauen sind. Ich stelle mir beim Schreiben jedenfalls immer gerne eine wollüstig lächelnde, atemlos stöhnende Frau mit meinem Buch in der anderen Hand vor.

Am Erker: Was sind das für Leute, die Ihre Bücher lesen?

Andresky: Da Menschen aller Alters-, Ausbildungs- und Berufsschichten Sex haben, konsumieren auch Menschen aller Alters-, Ausbildungs- und Berufsschichten Pornografie. Sex ist die einzig wirklich demokratische Sache auf der Welt: Für jeden Topf gibt es einen Deckel, egal wie hässlich er ist oder wie abwegig seine Vorlieben. Das ist doch wunderbar!