Gerne wäre ich verantwortlich für die Abteilung "Kommunikationsdesign und Medienvisualisierung". Mit Freude würde ich mich der "verantwortlichen Kuratierung und Konzeptionierung von Veranstaltungsangeboten" widmen. Meine Tätigkeiten wären "strategisch und organisatorisch". Und es käme Geld ins Haus. Das wäre mir am wichtigsten. Denn wie sich die Verhältnisse darstellen, wird es mir kaum möglich sein, meine Existenz auf die gewohnte Art und Weise bis ins kommende Jahr fortzusetzen. Allein, die oben angezeigte Position gehört offenbar ebenso wie die mit ihr verbundenen Tätigkeiten ins Reich der Fiktion. Entnommen habe ich sie dem großartigen Roman Zandschower Klinken des Leipziger Schriftstellers Thomas Kunst, auf den ich durch ein Interview in der Wochenzeitung Freitag aufmerksam wurde, in dem er bekannte, dass ihm das Wort "Plot" Brechreiz verursache. Wörtlich sagte er: "Wenn ich das Wort Plot schon höre, könnte ich speien." Das hat mir gefallen. Obwohl ich grundsätzlich nichts gegen einen Roman mit Handlung einzuwenden habe. Einige meiner liebsten Romane haben eine Handlung. Und ganz ohne ein Geschehen zu schildern, kommt auch Thomas Kunst nicht aus. Die zitierten Begriffe gehören zu einer Szene, die einen Herrn namens Bengt Claasen, der in Kunsts Roman Strandkörbe ohne Venedig aus dem Jahr 2009 noch als "Außenlektor für einen mittleren Belletristikverlag" arbeitet, beim empörten Studium von Stellenangeboten zeigt, deren Formulierungen er als "beleidigende Vergeltungsmaßnahmen gegenüber den poetischen Bemühungen seiner dünnhäutigen, aber leidlich unakademischen Biographie" empfindet. Lese ich so eine Passage, ist im Nu meine Identifikationsbereitschaft geweckt. Du bist nicht allein, sagt das Buch zu mir, und ich fühle mich getröstet, weil ich miterleben darf, wie Thomas Kunst sprachlichen Abfall in Literatur verwandelt. Selbstverständlich ist mir bekannt, dass Abteilungen, die "Kommunikationsdesign und Medienvisualisierung" heißen, eben doch eine Existenz außerhalb der Literatur führen, aber retten wird mich dieses Wissen nicht.
Also flüchte ich mich in ein anderes Buch, lese in Volker Kaminskis Roman Herzhand von kulturellen Veranstaltungen mit Gratisgetränken und Büffet bei freiem Eintritt und spüre einen unangenehmen Neid auf die weißweinschlürfende, brezelknabbernde Literaturszene der Hauptstadt. Warum sitze ich seit Jahren in Oer-Erkenschwick fest und bastle Modellflugzeuge, während in Berlin das Leben zur Kunst wird? Oder so ähnlich. Doch Kaminskis Buch belehrt mich rasch eines Besseren. Rivalität und Missgunst vergiften die Atmosphäre an den Stehtischen, der Wettstreit um Stipendien, Verlagsverträge und Vorschüsse ist knallhart. Und manch einer gibt auf. Oder beginnt von Neuem, wenn der Schreibimpuls stark genug ist. Volker Kaminski gönnt seinem Protagonisten Helge Maibach all diese Erfahrungen und zeichnet dabei das realistisch anmutende Porträt eines literarischen Betriebs mit beträchtlicher Eigendynamik. Eine ebenso instruktive wie unterhaltsame Lektüre, die ich allen, die sich an den Hildesheimer und Leipziger Schreibschulen bewerben, ans Herz legen möchte. Aber auch wer wie unsereiner keine schriftstellerischen Ambitionen hegt, liest Kaminskis Schilderung eines Lebens, in dem Freiheit eben auch Notwendigkeit bedeutet, mit Gewinn.
Und wieder bin ich in die Identifikationsfalle getappt, habe mich selbst als naiven Leser entlarvt, dem es immer das größte Vergnügen ist, sein armes Ego in einem literarischen Text gespiegelt zu bekommen. Wo ist sie hin, meine jahrelang in literaturwissenschaftlichen Seminaren eingeübte kritische Distanz? Damals hatte ich mir sagen lassen müssen, ich läse ja Kafka wie Fontane. Wie denn sonst, war meine unschuldige Antwort. Doch eigentlich hätte ich mein Gegenüber korrigieren müssen: nicht wie Fontane, den ich schon während meiner Schulzeit als Langweiler erkannt hatte, sondern wie Karl May. Ist es verwunderlich, dass dem um meine wissenschaftliche Zurechnungsfähigkeit besorgten Kommilitonen eine schöne Universitätskarriere beschieden war, während ich schlecht honorierte Geschmacksurteile für literarische Journale mit kleiner Auflage verfasse? Voller überflüssiger rhetorischer Fragen und schlecht gewählter Metaphern? Ein Mann meines Talents, der Großes in der Abteilung "Kommunikationsdesign und Medienvisualisierung" leisten könnte, verschenkt sein Leben an die Literatur, von der er immer weniger versteht.
Ich werde pathetisch. Das ist gefährlich. Aber vielleicht auch nützlich. Denn ich möchte meine Kolumne mit einer weiteren Buchempfehlung beschließen. Das Testament der Kühe ist ein seltsamer Titel für einen sehr schönen Roman vom Aufwachsen im fundamental-protestantischen Milieu der Grafschaft Bentheim, nahe der holländischen Grenze. Dem jungen Hendrik Hemsterhuis bleibt zwar trotz eines beachtlichen Talents als Torhüter eine Karriere als Handballer versagt, denn die Spiele würden am heiligen Sonntag stattfinden, doch intellektuell und erotisch vermag er in späteren Jahren der calvinistischen Enge seiner Heimat zu entkommen. Es ist zu vermuten, dass der Schriftsteller und Theologe Klaas Huizing, dem wir schon eine Anzahl bemerkenswerter Romane verdanken, sich für dieses Buch von der eigenen Biografie hat inspirieren lassen. Daraus zu schließen, dass der praktizierte Puritanismus auch seine guten Seiten habe, möchte ich an dieser Stelle unterlassen. Es wird Zeit, in der Werkstatt Staub zu wischen. Medienvisualisierung. |