Herr Müller-Zech leidet unter einem diagnostizierten Burn-out. Herr Müller-Zech hat dieser Zeitschrift eine gültige Krankschreibung zugeschickt. Am Erker mietet daher für die ersatzweise Erstellung seiner Halbjahreskolumne einen Rezensionsroboter des Modells Besprecherlein. Die passende Kritik-Software Mar.WeEn-12-german wurde in einem Droiden installiert. Der Droide verfügt über zwei hydraulisch-gyroskopisch gesteuerte Beine und zwei Greifarme mit nachgebildeten Silikon-Fingerkuppen. Jedes Besprecherlein erfüllt die taktile deutsche Sicherheitsnorm DIN EN ISO 10218-88b und gilt daher als sensibel. Es ist zur Säuglingsversorgung qualifiziert. Bücher sind ein wichtiges Kulturgut. Der Name Besprecherlein klingt vertrauenswürdig und sympathisch. Herr Müller-Zech hat sein Einverständnis zur Maschinenkritik erteilt. Jedes Besprecherlein beherrscht die Evaluierung aktueller E-Books unter Verwendung von Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätzen. Jedes Besprecherlein ist dank seines texanischen Entwicklerteams Point Blank [PROTECT THE SECOND AMENDMENT!] auch zum Umblättern und Einscannen gedruckter Bücher fähig. Herr Müller-Zech beauftragte Besprecherlein zunächst mit dem Kurzprosaband Waschaktive Substanzen von Marcus Hammerschmitt und bestand auf der Verwendung des Begriffs "atmosphärisch locker" in der Rezension. Diese Einflussnahme muss vermerkt werden. Herr Müller-Zechs Erdgeschosswohnung in Oer-Erkenschwick und seine Modellbauwerkstatt bieten einen leichten Zugang für Besprecherleins humanoid geformte Gließmaßen. Buch #1 wird im Schlafzimmer schnell gefunden. Es liegt auf dem ungemachten Bett. Die Fingerkuppen blättern es durch. Es behandelt "verschiedene Phänomene." Der Verlag Edition Monhardt ist als Independent einzustufen. Das Buch behandelt tatsächlich zahlreiche Dinge. "In den Seitenstraßen laufen Männer, über ihre Pistolen gebückt." [PROTECT THE SECOND AMENDMENT!] Besprecherlein hebt hydraulisch den rechten Daumen. Der atmosphärisch lockere Band gehört auf jeden Nachttisch. Besprecherlein sendet Am Erker hundert von hundert Punkten. Herr Müller-Zech wird zufrieden sein.
Der Droide geht zum nächsten Zimmer und sucht Rezensionsobjekt #2. Das zweite in Auftrag gegebene Buch heißt Der Scheik von Aachen und wurde von Brigitte Kronauer verfasst. Die gebundene Erstausgabe liegt als Sockel Dutzender billiger und zerfledderter und miserabel gestapelter Taschenbücher zuunterst. Das ist eine Herausforderung für die Greifarme. Nach erster Prüfung handelt es sich mit zweiundsiebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit um einen Roman. Alle Besprecherleins brauchen zum Umblättern und Scannen und Analysieren von je einhundert Seiten zwei Minuten und sind damit bedauerlicherweise noch Minderleister. Das texanische Entwicklerteam [PROTECT THE SECOND AMENDMENT!] arbeitet aber bereits an der nächsten Software-Version Mar.WeEn-13-german.
Der emotionale Gehalt des Buches #2 wird auf Basis der Verschlagwortung von Substantiven und Verben und Dialoganteilen ermittelt und liegt bei gerade noch lobauslösenden einundzwanzig Prozent. Der Anteil erwähnter Waffensysteme [PROTECT THE SECOND AMENDMENT!] liegt leider bei unter einem Prozent. Aber der Anteil ungebührlicher Wörter und Wendungen liegt ebenfalls bei unter einem Prozent. Daher ist das Werk trotzdem knapp zu empfehlen. Besprecherlein vergibt dreißig von hundert Punkten. Das kommende Update wird die Urteilskraft noch einmal steigern. Leser der Zeitschrift Am Erker können Herrn Müller-Zech in der Abteilung für Depressive im St.-Marien-Hospital in Mülheim an der Ruhr auf Zimmer 451 nachmittags besuchen. Das bestellte Objekt #3 ist das Sachbuch Wem gehört die Welt? Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus von Hans-Jürgen Jakobs. Jedes Besprecherlein ist fünfzigtausendmal intelligenter als Herr Müller-Zech. Das Buch bereitet keinerlei Probleme. Es hält unserer Gesellschaft einen kritischen Spiegel vor. Es listet 324 illegale Verknüpfungen im kapitalistischen Geflecht aus Banken und Schattenbanken und Konzernen und Waffenherstellern [PROTECT THE SECOND AMENDMENT!] auf und bestätigt daher zuverlässig die Ansichten westeuropäischer Humanhirne. Als harmloses Freizeitvergnügen erhält es die Freigabe FSK 6. Besprecherlein vergibt wieder hundert von hundert Punkten. Buchkritiken erfüllen eine wichtige soziale Funktion.
Der Droide geht nach Erfüllung der offiziellen Mission zwischen den Räumen hin und her. Herr Müller-Zech ist ein Sammler brennbarer Grundstoffe. Seine Modellbauwerkstatt voller Kartonagen und 114 Flugzeugrümpfen und Tragflächen aus Balsa und 4 Holzleimflaschen und der eichenen Werkbank besitzt einen errechneten Heizwert von 22,3 Kilowattstunden. Seine Bibliothek aus 3215 Einzelbänden besitzt einen Heizwert von 12,1 Kilowattstunden. Seine gesammelten 1314 Schallplatten aus Polyvinylchlorid der vorherrschenden Kunstrichtung Jazz besitzen einen Heizwert von 1,3 Kilowattstunden. Besprecherleins Greifarme entnehmen aus einer Küchenschublade Streichhölzer und Waschbenzin [PROTECT THE SECOND AMENDMENT!]. Diese Kritiken sind unter präzise kalibrierter Objektivität erstellt worden. |
Marcus Hammerschmitt: Waschaktive Substanzen. 80 Seiten. Berlin: Edition Monhardt 2016. € 18,00.
Brigitte Kronauer: Der Scheik von Aachen. Roman. 399 Seiten. Stuttgart: Klett-Cotta 2017. € 22,95.
Hans-Jürgen Jakobs: Wem gehört die Welt? Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus. 680 Seiten. München: Knaus 2016. € 36,00. |