Am Erker 65

 
Texte
Am Erker 65, Münster, Juni 2013
 

Nikos Saul
Inkasso

Du heißt Hannes. Kein wirklich guter Name für die Branche, in der du arbeitest. Die andern heißen Boris oder Yassir. Du halt Hannes. Aber du bist auch son Schrank wie sie. Ihr seid bei "Inkassoservice Fahrenhorst". Letztes Jahr wart ihr sogar mal im Fernsehn, n Kamerateam von RTL hat dich und Nikolai beim Hausbesuch gefilmt, wie ihr den fetten Günter eingeschüchtert habt. Da hast du Sätze in die Kamera gesagt wie "In dem Gewerbe musst du hart sein", du weißt aber genau: Du bist nicht hart. Nicht hart genug jedenfalls. Manchmal nimmt dich das schon ganz schön mit, wenn ihr euch mit breiten Schultern und schwarzer Kluft vor den Leuten in den Haustüren aufbaut und eure Anwesenheit ihre Wirkung tun lasst. Danach gehst du immer zu Holger und kippst dir bei ihm im Schankraum was rein.
Jetzt ruft dein Chef an. "Tach." Du sollst mal wieder allein zu Kröpke und, egal wie, was mitbringen. Der ist schon seit ner Ewigkeit säumig. Egal wie: auf jeden Fall was mitbringen. Also gehst du los. Kröpke wohnt bei dir umme Ecke. In som lütten 70erbacksteinhaus mit vom Schmöken gelben zugezogenen Ekelpekellaken vorm Fenster. Als du vor der Haustür stehst, kommt nebenan n Ommakopf hinter der Scheibe aus den Eisbegonien auf der Fensterbank. Du stellst dich straff hin, pustest aus, pumpst dich auf. Schlägst hart an die Tür. Macht mehr Eindruck als klingeln. Omma kuckt immer noch blöd aus der Wäsche. Ein böser Blick und sie ist weg. Du klopfst noch mal hart an. Irgendwann kommt Kröpke zur Tür geschlurft und macht sie auf. Eierkopp Knautschgesicht Kröpke. "Kröpke, alter Spast, warum hastu n immer noch nich bezahlt?" Hinter Kröpke kannst du in seine dunkle Stube kucken. Ein Fernseher krakeelt da und flackert Licht an die Wand. Kröpke stottert rum und haspelt irgendwas vor sich hin von kein Geld und schlimmer Zeit. Jetzt hart bleiben! Irgendwann fällt ihm nichts mehr ein. Dir auch nicht. Ihr steht euch schweigend gegenüber in der Tür. Der Fernseher dröhnt weiter. "Ey Kröpke. Du hast nix, okay, aber den Fernseher da hinten, ne? Verstehst?" Kröpke zieht seine Augen zusammen und geht in Abwehrhaltung. Keine Schlägerei jetzt, die Omma wird sofort die Bullen rufen! Du bleibst unbewegt stehn, Kröpke merkt: Er hat keine Chance gegen deine Schrankstatur. Er weicht fahrig in seine dunkle Butze zurück. "Den willstu mitnehmn?" Der Fernseher ist son altes Röhrenschrottding, keiner von den neuen mit HD und Flachbild. Trotzdem: auf jeden Fall was mitbringen! "Jep." Kröpke stammelt wieder rum. Der Kerl hat Angst. Beim nächsten Mal rückt der mehr raus. Du drängst ihn in eine Ecke des Zimmers neben das mit einem Laken verhängte Fenster. Du baust dich auf vor ihm, dass deine ganze Breite als schwarzer Schatten das Licht aus der Tür verdeckt. "Okay, okay." Das kleine Männchen Kröpke flitzt nach links, kabelt den Fernsehapparat aus und drückt unter der schweren Last ächzend und torkelnd ihn dir in die Arme. Das war leichter als gedacht. Jetzt schnell zu Holger, dann zum Chef, den Fernseher abliefern. Die Omma kuckt rechtschaffen blöd aus ihren Eisbegonien, als du ihn aus Kröpkes Schmierhaus trägst. Zum Glück ist es nicht weit zu Holger, der Fernseher ist ziemlich schwer. Seltsam, dass Kröpke den so leicht hochgekriegt hat.
"Tach." In Holgers Kaschemme ist es dunkel wie immer. Er feudelt hinter der Theke rum, über seiner Glatze stehn die ganzen Flaschen Alk, ganz oben im Regal, wie immer, die sieben Werderbremenmeistersektflaschen. "Was bringst n da mit?" Holger klingt gelangweilt, auch das ist immer so. "Wonach siehts n aus?" "Ja, n Fernseher, ne?" Damit ist das Gespräch erstmal beendet. Du wuchtest den Fernseher auf den Tresen. Holger macht dir n Bier fertig. "Gedeck, ne?" Du nickst. Ein Korn kommt dazu. "Wieder eintreiben gewesen, wa?" "Jo." Holger feudelt weiter. Du schluckst den Korn in dich rein und fängst mit dem Bier an. "Aber der Fernseher, der geht doch schon noch, oder?" "Vor ner Viertelstunde lief der noch 1A." Holger, jetzt nicht mehr gelangweilt, vorsichtig tastend: "Du kennst mein altes Problem doch noch, oder?" "Ich weiß nich wovon du sprichst." Das feige Schwein soll sich aus der Deckung wagen. "Natürlich weißtus." Holger verliert die Kontrolle über seinen Feudel. "Nee, was denn?" Holger kommt mit dem Feudel in der Hand wieder unterm Tresen hoch. "Na, die Sache mit dem Fernseher." "Du hast keinen." "Ja, wurd ja geklaut, ne?" "Kann sein." "Und jetzt hast du ja einen mitgebracht, ne?" "Jo." Holger kaut auf seiner Unterlippe rum. "Naja, ich kann mir den gut hier inner Kneipe vorstelln, da hinten inner Ecke, dann", Holger grinst, "is mein Laden um eine Attraktion reicher, ne?" "Okay, wie viel gibstu mir?" Vielleicht lässt sich hier Gewinn rausschlagen. "Geben? Ich mein, der is nix mehr wert. Röhre, kein Flachbild, kein HD ..." "Wie viel?" "Äh, bar is n büschen knapp grade, aber", Holger dreht seinen kahlen Kopf einmal suchend im Raum rum, "was hältst du von den Werdersektflaschen da oben? Also von n paar?" Du schaust sehr kritisch. Hart bleiben! "Ich mein, dein Chef is doch son Werderfan, oder?" Das stimmt. "Und da sind zwei Flaschen von 88 bei, die ham richtig Sammlerwert inzwischen." "Dann aber alle." "Nee, zwei behalt ich." "Okay, aber der Rest für mich und das Gedeck gratis." Holger schlägt mit seiner dicken Patschehand in deine. Du lässt also den Fernseher da, wo er steht, und dir von Holger fünf Werdersektflaschen in ner Pennyplastiktüte geben. "Tschüss." "Ja, tschüss, bis denn, ne?" Du bist raus. Den Wert einer Werdersektflasche schnell im Kopf überschlagend kommst du zum Ergebnis, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Aber du weißt nicht, ob diese Sektflaschen wirklich das sind, was der Chef will. Egal: auf jeden Fall was mitbringen.
Die Henkel der Pennyplastiktüte halten nicht lange. Einer ist schon gerissen, der andere ist nah dran. Du musst die in die Tüte gewickelten Flaschen in deine Arme nehmen. Wenn die jetzt runterfallen aufs Pflaster, in die Hundescheiße, zerbersten, ausfließen, gar nicht auszudenken. Du brauchst auf jeden Fall irgendwas zum Tragen, n Korb oder so. Hinter dir klingelt wer. Du zuckst zusammen, drehst dich um, fast wär dir ne Flasche runtergefallen, ein Fahrrad kommt genau vor dir zum Stehen. "Moin, Hannes." Drauf sitzt Trader Joe. "Moin, Joe." Er steigt ab, ihr gebt euch die Hand. "Was treechst n da durch die Gegend?" Du lässt ihn in die Tüte kucken. "Fürn Chef." "Eintreiben gewesen?" "Jo." Trader Joe rückt seine Sonnenbrille zurecht. Er zittert. "Manchmal fühl ich mich sehr alt, weißt du?" Er zupft Grindstückchen von seiner Stirn. "Seit Gustav nich mehr da is, ich mein, was is n aus meinm Leben geworden? Ich mach alles wie vorher", er pult an seinen spärlichen grauen Barthaaren rum, "jeden Tach n Spaziergang durchn Stadtpark, eine Flasche Korn aufn Weech hin, eine aufn Weech zurück, aber ohne Gustav hab ich da keine Freude mehr dran", Joe hält sich gebückt am Rad fest, fällt einmal fast mit ihm um, "ich bin einfach n armer alter Mann, ich ..." Sein Mund wackelt haltlos hin und her. Du unterbrichst seinen Sermon nur ungern, aber es muss sein: "Ja, Joe, is gut, du krichst auch keinen mehr hoch, hastu mir gestern schon erzählt, aber dein Rad da, das hat ja n Korb, ne?, und ich brauch grad einen für die Flaschen fürn Chef. Wie wärs, du leihst ihn mir aus?" Joe hat immer noch keine Gewalt über seinen Mund. "Und ich bring ihn dir morgen wieder? Inn Stadtpark?" "Achja." "Ja oder nein?" "Ähm", Joe sieht dir gerade ins Gesicht und gar nicht mehr gebrechlich aus, "nur wenn ich eine von den Flaschen krich." Du stutzt. Keine leichte Beute. Hart bleiben! "Die Flaschen sind doch genau das, was ich in den Korb packen will, Dummkopf." "Aber eine?" Trader Joes Bettlerblick Schnorrerfresse. "Ne kleine?" "Nee du, denn gehts auch ohne." Du lachst und machst dich dran, weiterzugehen, da wirft Joe das Fahrrad rum, stellt es dir in den Weg, dass du gegen den Lenker prallst, und sagt drohend: "Flasche gegen Korb, das isn guter Deal." Du siehst seinen tätowierten Bizeps und erinnerst dich daran, dass er früher mal ein viertelbekannter Schläger war, immer Stress mit den Bullen und immer ne lockere Hand hatte, besonders wenn er besoffen war. Hat sich sogar mit Wentzen angelegt. Die Messerstecherei aufm Markt, die Prügelei an den Docks, die Dresche für Behrens und Diercks. Auf sowas hast du keine Lust jetzt. Aber Trader Joe kuckt immer noch drohend, weicht keinen Zentimeter zurück, und dieser Bizeps! Wenn er es haben will, soll er es kriegen: Du boxt ihn in den Bauch, er knickt nach vorne, du nimmst seinen Kopf und schlägst ihn auf die Lenkstange. Joe stöhnt auf, lässt das Rad los, du schubst ihn zur Seite, er kippt am Kopf blutend nach rechts hart aufs Pflaster, in die Hundescheiße, du greifst nach dem nach links fallenden Fahrrad, schmeißt die Flaschen in den Korb und siehst zu, dass du wegkommst, trittst kräftig in die Pedalen.
Scheiße, du hast gerade Trader Joe kaputtgeschlagen, den guten alten Trader Joe, viertelbekannter Schläger, Freund aller Kinder, Schnapswrack am Kiosk umme Ecke. Wegen son paar Werderflaschen. Die wahrscheinlich nicht mal n Wert haben, höchstens Sammlerwert für den Chef. Scheißescheißescheiße. Du beschleunigst, nimmst die Abkürzung durch den Stadtpark. Im Korb klirren die Meistersektflaschen. Du hältst an einer stillen Ecke. Du stellst dein Rad am Weg ab. Du gehst ins Gebüsch zum Pissen. Und ich komm vorbei und klau dir das Fahrrad.