Texte
Am Erker 46, Münster, Dezember 2003
 

Volker Kaminski
Frosch und das Mädchen

Die Neue ist eine reizende Erscheinung, denkt Frosch, nicht so derb wie die anderen Mädchen. Wenn sie eine schnelle Bewegung macht, knistern ihre Haare. Ihre Hände sind weiß, zart, fast durchsichtig. An den Fingern kein einziger Ring.
Sie arbeitet in der Küche, doch an Sonntagmittagen, wenn Hochbetrieb herrscht, muß sie auch beim Tischservice helfen. Frosch ist Chefkellner, zusammen tragen sie die Speisen an die Tische, laufen immer wieder aneinander vorbei.
Das Hotel steht auf einer einsamen Anhöhe, umgeben von Wald und Bächen. An manchen Tagen kommen so wenig Gäste ins Haus, daß sich abends der Betrieb kaum lohnt. Der Koch verzieht sich mit einer Flasche Bier in den Fernsehraum. Dann ist Frosch mit dem Mädchen in der Küche allein. Sie unterhalten sich, warten, sitzen die Zeit ab. Frosch fragt sie aus, sie antwortet mit gleichgültiger Miene.
Er lehnt lässig am Besteckwagen, die Arme vor dem weißen Hemd verschränkt, und schaut zu ihr hinüber. Meistens hockt sie auf der Tischkante, den nackten Fuß auf die gegenüberliegende Herdleiste gestellt. Eine gewagte Stellung, findet er.
Es ist neun Uhr, vielleicht kommen noch ein paar letzte Wanderer zum Abendbrot ins Haus. Frosch hat die Hausschlüssel schon an sich genommen. Er wird gegen elf das Haus abschließen und in seine kleine Wohnung im Anbau gehen. Das Mädchen wird mit dem Bus ins Nachbardorf fahren. So ist es immer, tagaus, tagein.
Wie hübsch sie aussieht, denkt er, dieser herzförmige zartrosa Mund, der immer etwas zu schmollen scheint. Sie hat das Hotelfach mehr oder weniger aus Verlegenheit gewählt, erklärt sie, ist bloß zufällig Köchin geworden, sie hätte auch etwas anderes machen können. Daß sie hier auch servieren muß, findet sie eine Zumutung. Sie beklagt sich über die Hotelchefin. Ihre Haare fallen wie seidiges Puppenhaar, als sie sich mit der Hand über die Stirn fährt.
Frosch denkt, ich will sie küssen.
Er blickt auf die schweren Hausschlüssel in der Hand und fragt sie, ob sie nicht nachher ins Kino fahren wollen. Wenn keine Gäste mehr da sind, könnten sie die Spätvorstellung noch schaffen.
Sie antwortet nicht, nimmt statt dessen den Fuß von der Herdleiste, schlüpft in ihre Schuhe und kommt langsam auf ihn zu. Willst du mich küssen, fragt sie provozierend. Frosch ist verwirrt und steht ganz starr. Sie beugt sich vor und drückt ihre Lippen fest auf seinen Mund. Eine Ewigkeit lang. Froschs Kopf fällt in den Nacken. Reglos verharrt er in dieser Stellung und bekommt kaum mit, wie sie hinausgeht.
Erst als sich seine Nackenmuskulatur zu verkrampfen beginnt, schält er sich aus seiner unbequemen Lage. Hinter ihm klirrt das Besteck, der Wagen rollt leicht zur Seite. Ihm ist schwindlig. Vorsichtig betastet er sein Gesicht, es fühlt sich weich und glatt an. Dann beginnt er zaghaft zu lächeln.