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Andrzej Stasiuk

 
Rezensionen

Andrzej Stasiuk: Wie ich Schriftsteller wurde
 

Staatsbohemismus
Andreas Heckmann

Im Herbst 1998 hat Andrzej Stasiuk in zwei Wochen seine "intellektuelle Autobiographie" geschrieben, die etwa von 1976 bis 1990 reicht, vom 17. bis zum 31. Lebensjahr des polnischen Schriftstellers (Der weiße Rabe, Rowohlt Berlin 1998; Die Welt hinter Dukla, Suhrkamp 2000). Wer erwartet, daß Stasiuk hier Lektüreerfahrungen ausbreitet und akademische Bildungserlebnisse referiert - gehört sich das nicht so für die Jugend- und Wanderjahre eines Intellektuellen? -, wird enttäuscht. Wir begegnen einem Straßenjungen, einem Warschauer Streuner, der gern mit Kumpels einen trinkt, sich auf Konzerten rumtreibt, die Arbeit scheut und manchmal an westliche Bücher gerät, die im Untergrund zirkulieren. Es ist ein bohemistisch-dissidentes Jugendleben unter den absurden Bedingungen des staubgrauen Staats-Sozialismus, der gerade in Polen viele anarchische Nischen hatte. Und als Beobachter mittenmang: Andrzej Stasiuk. Sein schmaler Bericht setzt unvermittelt ein: "Damals fuhr niemand Taxi, Mann, jedenfalls niemand von uns." Kurz sind die Sätze, häufig elliptisch, und Absätze macht der Autor nicht - ein Monolog, eine Selbstverständigung. Und zugleich der Versuch, etwas über die letzte Generation vor der Wende zu sagen: "Wenn man sechzehn ist, sind fast alle suspekt. Wir hatten ja auch keine Kohle." Stasiuk verbrachte die 70er und 80er überwiegend in Warschau, und so ist das Buch auch der Bericht über eine Metropole im offiziell verordneten volksrepublikanischen Tiefschlaf, in der es munter gärt. "Am liebsten rauchten wir Extra Mocne ohne Filter, die waren am schädlichsten. Irgendwann waren sie plötzlich verschwunden." Randgruppen- und Mangelerfahrung, Generations- und Großstadterfahrung. Und jede Menge - naturgemäß unangenehme - Erfahrungen mit dem Staatsapparat. Das Buch ist sehr bewegend, spannend und komisch, weil es in seinem Erzählstrom beharrlich und doch unberechenbar eine Reihe packender Motive exponiert. Zunächst das revoltäre Element einer perspektivlosen, nicht integrierten Jugend, die - trotz Barras, Fahnenflucht und Militärknast - einfach nicht zu zähmen ist: Stasiuk kommt sein Außenseitertum nicht Mitte zwanzig abhanden, und manch anderem genauso wenig, ohne daß nun heroisch ins Horn der Unbeugsamen geblasen wird - man schlägt sich halt durch. Zum anderen ist da das egalitäre Element: wer ist im Sozialismus schon gut dran? Es lohnt nicht, seine Seele zu verkaufen und sich für Zloty (mit denen sich nichts erwerben läßt) oder für die Zukunft (wie soll die, bitteschön, aussehen?) abzustrampeln. Drittens das anarchische Element. Wo es nichts zu gewinnen gibt und nicht mal die Illusion künftigen Gewinns glaubhaft vorgegaukelt wird, kann sich der Einzelne zu seiner inneren Freiheit bekennen, die als kollektiver Staats-Beschiß nach außen tritt - in Polen ein Volkssport und eine Leidenschaft. Dann ist da schließlich noch das popkulturelle Element: Stasiuk beschreibt die nur leicht verzögerte Rezeption insbesondere angloamerikanischer Musik und Literatur (Punk, Ginsberg pp) und die nicht nachahmenden, sondern anverwandelnden Reaktionen, die sie auslöst. All dies wird von einem begnadeten Sinn für Komik zusammengehalten. Der Autor nennt nebenher u.a. Haseks Schwejk, Jerofejews göttliche Reise nach Petuschki und Marek Hlasko als Vorbilder. Reflexion ist Voraussetzung dieser Prosa, aber sie bleibt gegenüber der Beschreibung im Hintergrund. Zwar zeichnet Stasiuk kein nostalgisches Bild der polnischen Gesellschaft, wohl aber nimmt er die Freiheit in der Unfreiheit wahr, schildert sie und beschreibt sie als wertvoll. Aus dieser Perspektive bucht er die 90er Jahre eher auf der Verlustseite der polnischen Geschichte, denn die neue Freiheit des Kapitalismus ist - trotz aller Propaganda - keine des Individuums, sondern nur eine zur gnadenlosen Konkurrenz und damit zur Zerstörung sozialer Strukturen. So hat der Kapitalismus etwas zum Verschwinden gebracht, das kaum hoch genug zu schätzen ist - den Eindruck der still stehenden Zeit und die kontemplative Kraft, die der Autor aus diesem Schwebezustand ziehen konnte (und die er in Dukla und den Beskiden wiedergefunden hat). Die kunstvolle Kunstlosigkeit und rasche Entstehung des Buches sollten nicht darüber täuschen, daß es einen hohen Anspruch hat und einlöst. In der deutschen Literatur gibt es vielleicht nur ein Gegenstück, und das ist in vieler Hinsicht und unvermeidlich anders gelagert: Adolf Endlers wunderbare "Sudelblätter 1981-83", bekannter als Tarzan am Prenzlauer Berg (1994).

 

Andrzej Stasiuk: Wie ich Schriftsteller wurde. Versuch einer intellektuellen Autobiographie. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. 141 Seiten. edition suhrkamp. Frankfurt am Main 2001. 17,90 DM.